
Interview mit Doriana Tchakarova
„Liebe und Begeisterung, das sind die Dinge, die mich führen und die mir diese Lust geben.“
Oktober 2020
Mit Doriana Tchakarova sprach Lisa Ochsendorf.
Doriana – wie kamst Du denn zum Kunstlied?
Eines Tages saß ich mit Kommilitonen vor der Hochschule – da kam ein Herr und hat gesagt: „Studierst Du hier?“ – „Ja, Klavier.“ Da hat er gefragt: „Kannst Du mal kurz in meiner Stunde das hier vom Blatt spielen?“ Das war ein Clara Schumann Lied. Danach hat er gesagt: „Möchtest Du ein Tutorium? Du machst das ganz gut.“ Da war ich 18 oder 19 – ich habe dann einfach regelmäßig in den Gesangsklassen gespielt. Dieser Herr war Professor Thomas Pfeiffer aus Stuttgart, ein toller Liedsänger – ihm habe ich auch meinen späteren Lehrauftrag und die Liebe zum Lied zu verdanken.
Welche Rolle spielt der Klavierpart beim Lied? Was für eine Aufgabe hat man als Pianistin, wie siehst Du Deine Rolle?
Auf keinen Fall sehe ich mich als reine Begleitung. Es braucht Liebe zur Stimme und ein umfassendes Verständnis des Textes, der Farben, der Agogik, des Atmens in der Musik – auch ein philosophisches Verständnis für die Texte, besonders in der deutschen Lyrik. Wenn wir zum Beispiel Hölderlin nehmen, da gibt es ja auch Vertonungen, die sind hochkompliziert. Es braucht Wissen über Dichtung, über verschiedene Stilrichtungen. Und die Fähigkeit, sich jeder Stimme anzupassen, mit jedem Sänger – auch psychologisch – umgehen zu können. Denn eigentlich ist das Klavier das tragende Element im Lied. Das würde ich schon behaupten wollen (lacht).
Was sind denn Deine nächsten Projekte? Was beschäftigt Dich gerade musikalisch?
Derzeit habe ich viele Projekte und Ideen. In der Corona-Zeit habe ich eine kleine Musikreihe gestartet. Die heißt „Live aus dem Musikzimmer“ – zuerst mit dem Bariton Konstantin Krimmel, da gibt es etwa 20 Videos auf Youtube. Der Schwerpunkt liegt auf Raritäten, unentdeckten Werken, die eine starke Aussage mit einer schönen Vertonung verbinden. Zu jedem Lied habe ich jeweils auch etwas geschrieben, über die Entstehung, oder über die Komponisten oder Dichter, wenn sie eher unbekannt sind. Das setze ich jetzt mit vielen tollen Sängern fort. Darunter sind Thilo Dahlmann, Sarah Wegener, Äneas Humm, Annelie Sophie Müller, Johannes Held, die Schwestern Felicitas und Judith Erb und viele mehr – arrivierte, aber auch sehr talentierte, die gerade noch in der Ausbildung sind, aber eine tolle Karriere vor sich haben.
Darüber hinaus habe ich jetzt einige Liederabende – ich hoffe, Corona spielt uns da keine bösen Streiche. Besonders freue ich mich auf die Vorbereitung für die im Frühjahr stattfindende CD-Produktion mit dem Bariton Äneas Humm. Und ich bereite die Gründung eines Liedfestivals vor – für Januar 2022. So etwas muss weit im Voraus geplant werden. Es soll PoeMus heißen, also Poesie und Musik. Dafür haben schon sehr, sehr gute Sänger zugesagt, aber ich verrate jetzt noch nichts. Ich möchte das gerne zu einer Kooperation mehrerer Veranstalter erweitern, die alle unter dem Namen PoeMus Liederabende ihre Konzertreihen miteinschließen. Man hat immer wieder gesagt: „Das Lied stirbt aus“ – aber bis heute ist das Lied nicht gestorben. Allerdings muss man auch etwas dafür tun, dass diese wunderbare Kunst in neuen Formaten weiter ihr Publikum findet.
Wie ging es Dir denn generell während Corona mit der Konzerttätigkeit?
Es sind einige Konzerte ausgefallen, hauptsächlich im März/April/Mai/Juni. Aber danach lief es eigentlich. Ich habe auch einen Liedkurs im August gegeben bei der Lotte Lehmann Akademie und letzte Woche bei dem Wettbewerb DEBUT gespielt, das hat alles stattgefunden. Und die geplanten Liederabende im Oktober wurden nicht abgesagt. Ich glaube, mich hat es etwas weniger getroffen als viele andere Kollegen. Ich bedauere sehr, dass viele Künstler wirklich sehr viel verloren haben; bis dahin, dass sie andere Jobs annehmen mussten, die gar nichts mit Musik zu tun haben. Schon die finanziellen Verluste sind für viele existenziell, aber für uns Künstler ist der Verlust von Liveauftritten und der direkte Kontakt mit dem Publikum fast noch schlimmer. Das ist wie ein Gefängnis für die Seele. Nur bei Liveauftritten können wir als Künstler alles geben.
Jetzt hast Du gerade auch von Kursen gesprochen. Wie ist es für Dich, mit Studierenden zu arbeiten? Was reizt Dich daran und was nervt Dich manchmal?
(Lacht) Wenn ich allein arbeite, bin ich mit mir selbst ziemlich ungeduldig, aber in der Arbeit mit anderen Menschen bin ich geduldig. Mit Sängern habe ich das besonders gelernt. Nur wenn die Basics und die gründliche musikalische Vorbereitung fehlen, ist meine Geduld schnell am Ende – Rhythmus und Tonhöhen-Lernen sollten sie schon alleine hinkriegen. Vor allem reizt mich der Austausch mit Menschen, mit besonderen Stimmen, mit Musik, über Musik – diese Intimität, die entsteht, ohne dass man sich berührt – aber man berührt sich mit der Seele, mit dem Geist, und das sind tiefgehende Erfahrungen, die nur in der Kunst möglich sind.
Du machst ja sehr viel mit Deinen eigenen Projekten, den Konzerten und der Lehrtätigkeit – wie kriegst Du das alles unter einen Hut? Wie sieht Dein Tag aus und wann machst Du das alles?
Enthusiasmus ist der Schlüssel. Liebe und Begeisterung, das sind die Dinge, die mich führen und die mir diese Lust geben. Ja und mein Tag … ich bin Langschläferin. Aber wenn ich loslege, bin ich unermüdlich bis tief in die Nacht. Ich liebe Üben. Ich übe – immer! Auch für mich allein, wenn nur die Geister und Engel zuhören.
Gab es in Deinem Leben in Konzerten auch etwas, das einmal nicht funktioniert hat, woraus Du dann aber doch etwas gelernt hast?
Mendelssohns Klaviertrio in d-moll hat mich fertig gemacht (lacht). Nach den Konzerten mit dem Stück dachte ich: Nie wieder! Kammermusik mit anderen Instrumenten sollen andere machen.
Es gibt ja so viele tolle Lieder. Denkst Du manchmal, dass Du auch gerne Sängerin wärst oder bist Du zufrieden mit Deinem Platz als Pianistin?
Ich würde gerne meine Traumrolle Carmen singen. Ich sehe auch so aus. Oder Musetta – diese sinnlichen Frauenrollen. Im nächsten Leben könnte ich Sängerin werden. Andererseits: immer abhängig zu sein von der Stimme, der körperlichen Verfassung, das ist ein harter Job. Da bin ich doch lieber Pianistin.
Was ist Dein Motto?
In allem was ich künstlerisch mache – in der Karriere, in der Öffentlichkeit, bei Auftritten – überall will ich menschlich bleiben. Immer wieder Mensch sein und mit den anderen menschlich umgehen. Ich will nicht vergessen, dass alles vergänglich ist, dass jeder Krisen hat und es jeden schlimm erwischen kann. Dann soll man andere immer unterstützen und immer füreinander da sein. Das ist mir wichtig.