
“Im Moment führen wir eine perfekte musikalische Fernbeziehung.”
November 2018
Das Interview mit Esther Valentin und Anastasia Grishutina führte Elena Sebening
Das Lied-Duo über ihre Zusammenarbeit und Interpretation des Lieds.
Es gibt Musiker*innen, die sehen sich gegenseitig als Konkurrenz und es gibt solche, die mit der Begabung und Begeisterung des anderen weiter wachsen. Letzteres spürt man sofort, wenn die Mezzosopranistin Esther Valentin und Liedpianistin Anastasia Grishutina die Bühne betreten und so erklärt sich auch der erste Platz beim dritten Internationalen Schubert Wettbewerb Dortmund 2018.
Die beiden sitzen etwa zwei Monate nach dem erfolgreich absolvierten LiedDuo-Wettbewerb gemeinsam in einem Kölner Café und blicken zurück auf die spannende Zeit und ihre gemeinsame Vorbereitung. Außerdem erzählen sie von weiteren geplanten Projekten.
„Im Moment führen wir eine perfekte musikalische Fernbeziehung“, sagt die 25-jährige Esther. „Das trifft es wohl am besten“, stimmt ihr Anastasia zu. Seit dem Sommer wohnt Esther in Weimar und ist als freischaffende Künstlerin tätig, Anastasia lebt in Wuppertal und studiert in Köln. Die beiden arbeiten seit zwei Jahren gemeinsam an musikalischen Projekten, aber es wirkt, als würden sie sich schon viel länger kennen.

Ein stark verbindendes Element ist natürlich die Musik und gemeinsame Affinität zum Kunstlied. „Wir kennen uns, seit wir in einer Meisterklasse zusammen eingeteilt wurden. Da haben wir direkt gemerkt, wie gut wir harmonieren“, sagt Esther Valentin. Sowohl ihr musikalischer Geschmack sei ähnlich, als auch die emotionale Herangehensweise. „Wir sind uns von Anfang an auf Augenhöhe begegnet und das ist uns weiterhin sehr wichtig. Eine ehrliche Art und dass wir direkt dem anderen sagen, wenn uns etwas nicht gefällt“, so Esther.
„Ganz genau, wir hören aufeinander. Wir sind halt wirklich ein Duo – nicht Gesang mit Begleitung, wie es oft praktiziert wird“, ergänzt Anastasia. Besonders wichtig war und ist für die 30-Jährige ihr Professor für Liedgestaltung Ulrich Eisenlohr: „Ich bin ihm wirklich dankbar für seinen spannenden und hochinteressanten Unterricht. Von ihm habe ich gelernt, wie wichtig Texte im Lied sind und wie man mit diesen musikalisch umgehen soll“, sagt sie.
Eins werden in der Musik
Als Duo spielen, aber dabei Eins werden, das sei ihr Anspruch. Jede von ihnen bringt ganz unterschiedliche Erfahrungen aus dem Liedbereich mit, von denen die andere wiederum profitiert. Esther hat an der Hochschule für Musik und Tanz Köln Gesang studiert und wuchs in einer Musikerfamilie auf. Die Affinität zur klassischen Musik entdeckte sie bereits mit 15 Jahren. „Ich hatte Gesangsunterricht bei meinem Vater und der meinte irgendwann, er wolle etwas ausprobieren und gab mir eine Arie, statt der eigentlichen Pop- und Musicalstücke. Und es war, als hätte meine Stimme da das erste Mal wirklich das gemacht, was sie will und wozu sie gemacht ist.“ Seit diesem Tag wollte Esther Valentin Gesang studieren und hat die Entscheidung bis heute nicht bereut.
In der Zeit, in der sich Esther und Anastasia nicht persönlich treffen können, halten sie trotzdem beinahe täglich Kontakt. „Wir schicken uns ständig Sprachnachrichten und zeigen dem anderen bestimmte Passagen und Stücke“, erzählt Esther. Wenn sie dann ein paar Tage in der selben Stadt verbringen, besprechen sie alles intensiv und proben stundenlang. Ihre Proben zeichnen sie auf, schauen und hören sich die Aufnahmen gemeinsam an und besprechen sie kritisch.
Aktuell bereiten sich die Zwei auf ein Vorsingen für einen weiteren Meisterkurs vor. Bei ihren Auftritten ist es ihnen besonders wichtig, nicht nur Lied für Lied zu präsentieren, sondern vielmehr, eine Geschichte zu erzählen. „Ich muss als Sängerin eine Botschaft haben, wenn ich die Bühne betrete, anders geht es nicht“, betont die 25-Jährige.

In ihrem Repertoire sind längst nicht mehr nur deutsche Lieder zu finden. Auch französische und sogar russische Lieder haben die beiden schon interpretiert. Das Wichtigste sei dabei immer das Authentische. „Man muss sich fragen, wie würde das Stück ein Franzose betonen oder eine Russin“, sagt Esther. Mit Hilfe von Anastasia Grishutina übte sie bereits russische Stücke ein. Gemeinsam übersetzten sie die Texte peu à peu, immer wieder übte die Mezzosopranistin die für sie völlig unbekannte Sprache. „Da ist das Wort Fremdsprache wirklich eine passende Beschreibung. Ich kann ja nicht einmal die Wörter lesen“, sagt sie und schmunzelt. „Ich habe ihr in Sprachnachrichten die Sätze ganz langsam vorgelesen, sodass sie schon einmal alleine üben konnte, bevor wir gemeinsam proben“, erzählt Anastasia.
Die Musik verstehen lernen
Das größte Anliegen der beiden ist nach wie vor, das Kunstlied weiter zu verbreiten und in all seinen Facetten zu präsentieren. „Viele denken, dass das Kunstlied im 19. Jahrhundert ausgestorben ist. Für mich stimmt das nicht. Es gibt auch moderne Stücke, die in diese Gattung fallen und auch solche wollen wir spielen“, sagt Anastasia Grishutina und führt weiter aus: „Die Musik geht erst dann ins Herz, wenn man sie versteht. Nicht einmal die Worte, die gesungen werden, sondern einfach die Botschaft der Stücke.“
Nach ihrem Studium in Russland hat sich die 30-Jährige während ihrer Zeit an der Hochschule für Musik und Tanz Köln auf Liedgestaltung spezialisiert. Aktuell absolviert sie als eine der ersten das zweijährige Konzertexamen an der Kölner Hochschule mit diesem Schwerpunkt. Anastasia spielt seit ihrem sechsten Lebensjahr Klavier. Auch sie wuchs, wie Esther Valentin, in einer Musikerfamilie auf. Anastasias Mutter ebenfalls selbst Pianistin. „Und nachdem ich das erste Mal ein Stück von Rachmaninow gespielt habe, war ich verloren und wusste, ich will auch Pianistin werden“, erzählt sie. Die Auftritte als Duo sagen ihr trotzdem am meisten zu: „Ich gehöre nicht in die Solowelt. Ich habe als Kind gerne im Chor gesungen und diese Zeit absolut genossen. Genau das vereint das Lied für mich. Ich habe den Gesang, den ich seit meiner Kindheit schätze und kann am Klavier dazu spielen.“
In ihrer Freizeit hört Anastasia neben klassischer Musik gerne Rock-, Folk- oder Popmusik. „Auch einfach mal gerne Rammstein, Queen oder Simon and Garfunkel“, sagt die 30-Jährige und muss herzlich lachen. Das Schöne an dieser Art von Musik ist für sie die Verbindung von Publikum und Künstler. „Da ist keine Barriere, die Emotionen werden gemeinsam gelebt. Das möchte ich gerne ein Stück weit in der Liedkunst etablieren.“
So ergänzen sich die beiden jungen Frauen gegenseitig und interpretieren das Kunstlied stets auf ihre eigene Weise.