
“Wir diskutieren gerne und schätzen die Meinung des anderen” –
Mai 2020
Mit dem Lied-Duo sprach Elena Sebening
Die Sopranistin Inga Balzer und der Pianist Tilman Wolf haben inmitten von Corona eine Online-Konzertreihe etabliert. Auf Youtube stellen sie ihre zwischen zehn- und 20-minütigen themenbezogenen Liedprogramme zur Verfügung. Die Spenden, die sie damit generieren, sichern aktuell ihren Lebensunterhalt.
„Ich bin Akademistin beim WDR Rundfunkchor und wir wurden gebeten, etwas aus unserem Home-Office aufzunehmen. Daraufhin habe ich gesagt, dass ich das gerne mit Tilman machen würde, da wir eh zusammen wohnen und wenn man schon einen Flügel hat, dann kann man das ja auch nutzen”, erzählt die Sopranistin Inga Balzer. Gemeinsam mit dem Pianisten Tilman Wolf gestaltet sie regelmäßig Liederabende. Kurz vor Ostern entstand dann die erste Aufnahme eines Kunstliedes bei ihnen in der Essener Wohnung. “Wir haben natürlich kein professionelles Tonstudio zu Hause und können nur mit den Mitteln arbeiten, die uns zur Verfügung stehen. Aber wir bemühen uns, damit das Beste draus zu machen”, erzählt der 27-Jährige.
Als sie die erste Aufnahme anhörten und sahen, fanden sie das Ergebnis schließlich gut genug, um daraus eine ganze Konzertreihe zu entwickeln. Mit einer Spiegelreflexkamera nehmen sie sich auf, ein Aufnahmegerät sorgt für eine entsprechende Tonqualität – am Ende schneiden sie alles zusammen. Herausgekommen sind qualitativ hochwertige Aufnahmen die mittlerweile pro Video mehrere hundert Male angeschaut worden sind. “Wir sind positiv überrascht, was wir für tolles Feedback bekommen haben und wie viele Menschen uns da unterstützen”, freut sich Balzer.
“Die ersten Wochen mit Corona waren ein bisschen demotivierend und frustrierend. Wir haben, wie viele, Soforthilfen versucht zu beantragen. Aber nach der ersten Frustration waren wir bereit, etwas Neues anzufangen”, erzählt Wolf. “Und irgendwann haben wir dann versucht, diese Krise auch als Chance zu sehen und haben sehr viel Online-Angebote eingerichtet.” Über Videochat gab der Pianist schließlich Klavierunterricht und auch Balzer, die aktuell an der Musikhochschule Düsseldorf bei Anja Paulus ihren Master in Oper/Konzert macht, absolvierte online Uni-Kurse.
Nachdem die 27-Jährige im Jahr 2019 ihr Bachelorstudium an der Musikhochschule München bei Lars Woldt abgeschlossen hatte, ging es für sie nach Essen. Tilman Wolf nahm im Oktober 2012 sein Klavierstudium bei Prof. Thomas Günther an der Folkwang Universität der Künste in Essen auf. Im Februar vergangenen Jahres schloss er den Master of Music mit Bestnote ab und ist seit Oktober 2019 freiberuflich tätig. Seit einigen Jahren machen die beiden Musik zusammen. Das Besondere dabei: Sie leben und musizieren nicht nur zusammen, sie sind auch seit mehreren Jahren ein Paar.
Spendenaufruf für Online-Konzerte
Das sorgt nicht immer nur für lobende Töne in den Proben: “Ich glaube wir sind dadurch noch kritischer”, sagt die Sopranistin und lacht. “Wir diskutieren gerne und schätzen die Meinung des anderen.” Und Wolf ergänzt: “Die Proben verlaufen trotzdem positiv. Der Vorteil ist schließlich, dass wir uns sehr gut kennen und viele Sachen gar nicht erst proben müssen. Diskussionspotential gibt es natürlich immer Mal inhaltlich. Aber viel funktioniert schnell von alleine.”
Mehrere Stunden proben die beiden aktuell täglich. “Das ist das Besondere der Situation. Das ist sonst nicht der Fall gewesen”, sagt der Pianist. Beide unterrichten und geben Konzerte – besonders letzteres sichert eigentlich den Lebensunterhalt. Mit Hilfe der Konzerte wollen sie ebenfalls auf ihren Spendenaufruf aufmerksam machen. Auf der Seite namens Tipeee kann man beliebige Beiträge spenden und erhält dafür beispielsweise die Möglichkeit, ein Lied in einem der künftigen Programme zu platzieren. Obwohl die Situation nach wie vor schwierig ist und unklar, wann wieder Konzerte unter normalen Bedingungen stattfinden können, denken die Zwei positiv. “Sonst ist viel weniger Zeit so etwas vorzubereiten und einen Liederabend zu organisieren”, sagt der 27-Jährige.
Stücke immer wieder neu erschließen
Das Kunstlied hat es Wolf und Balzer schon eine Weile angetan: “Mit dem Lied beschäftige ich mich seit rund zehn Jahren. Es ist eine wahnsinnig intime Gattung und man kann zu zweit trotzdem ganze Geschichten erzählen und seine eigene Version von etwas finden”, findet die Sängerin. Und auch ihr Duo-Partner stimmt zu: “Beim Lied hat man auf kleinem Raum wahnsinnig viel zu entdecken.” “Was mir unheimlich Spaß macht ist ein persönliches Verhältnis zu dem Stück aufzubauen und mir eigentlich meine eigene Welt dazu in meinem Kopf zu schaffen”, fasst Balzer zusammen.
Die interpretatorischen Freiräume und die Möglichkeit, sich Stücke immer wieder neu zu erschließen macht für die beiden den Reiz der Gattung aus. “Wir wollen uns in unseren Programmkonzeptionen von anderen abheben. Wir stellen thematische Bezüge her und wollen etwas schaffen, das in dieser Form noch nicht vorgetragen wurde”, betont der Pianist. Mit ihrer Kombination aus zeitgenössischen Kompositionen in Kombination mit klassischerem Repertoire sprechen sie das Publikum an.
Der nächste Auftritt wird am Samstag, 6. Juni, unter dem Titel “Strahlender Mond” sein. Darauf folgt “Sommernacht” am Samstag, 20. Juni, jeweils um 19.30 Uhr. Auch ein Konzert mit Shakespeare Vertonungen ist noch geplant. Wer sich bis dahin noch Stücke wünschen möchte kann dies hier für eine kleine Spende tun.
Frau Balzer, Herr Wolf, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.