
“Wenn ich Stücke lerne, habe ich immer einen Film vor meinen Augen.”
Das Interview vorlesen lassen:
Mit Eva Marti sprach Christiane Nitsche
Frau Marti, Sie kommen aus einer Bilderwelt, haben Bühnenbild studiert, bevor Sie Ihre professionelle Gesangskarriere begannen.
Ja, ich habe das Studium nicht abgeschlossen, aber ich habe es zwei Jahre studiert, bevor ich zum Gesang gewechselt bin. Ich habe schon immer ein großes Interesse an Malerei und bildender Kunst gehabt. Meine Mutter hat mich sehr oft in Ausstellungen mitgenommen. Die Sprache der Bilder hat mich immer angesprochen. Durch diese Zeit hat sich das noch mehr vertieft. Ich merke sehr oft, auch im Alltag, dass ich sehr stark an Ästhetik hänge, dass Bilder eine große Wirkung auf mich haben.
Ist dadurch Ihr Zugang zur Musik ein anderer?
Das könnte sein. Wenn ich Stücke lerne, zum Beispiel, oder beim Vorsingen oder Proben habe ich immer einen Film vor meinen Augen. Das ist etwas sehr Persönliches, es bedeutet nicht, dass man das anderen weitergeben muss. Aber es ist etwas, das mir hilft, Farben in der Stimme aufzurufen und eine Geschichte hinter dem, was ich singe, zu finden. In diesem Sinne bin ich, glaube ich, tatsächlich mehr bei Bildern als bei harmonischer Struktur. Das nehme ich natürlich auch mit, aber Musik ist für mich ein Grund, mir etwas vorzustellen.
Eine Geschichte finden – ist es das, was Sie meinen, wenn Sie von Musik sprechen als „den Menschen die Menschheit erklären“.
Ich glaube natürlich nicht, dass ich mehr weiß als andere Menschen. Aber ich glaube, der ultimative Sinn von Kunst, zumindest für mich, ist genau das: zu versuchen, ein Vermittler dieser Erklärung zu sein, als Interpret. Es ist ein Weg, sich die Welt zu erarbeiten, auf eine sehr praktische, aber zugleich auch auf eine sehr abstrakte Weise. In dem Sinne ist, glaube ich, genau dies das Ziel von Musik. Außerdem kann es auch einen therapeutischen Zweck haben für die, die es machen – und für diejenigen, die zuhören oder zuschauen.
Ist das auch die Idee hinter Ihrem Konzert-Programm „Ultramarin“? Ein Liederabend rein zum Thema Meer muss ja Balsam für die Seele sein. Wie ist da der Stand?
Es sind nicht unbedingt nur Lieder, die mit dem Meer zu tun haben. Bei manchen ist es mehr das Gefühl, das aufbricht, wenn man sie hört. Andere haben mit dem Meer überhaupt nichts zu tun, aber es sind Lieder, die ich mit dem Thema verbinde – auch auf eine teilweise sehr persönliche Art und Weise. Es gibt schon eine ziemlich klare Struktur. Es beginnt mit einem Zyklus von Fauré mit vier Liedern über das Meer. Gesetzt ist sicher auch „Abends am Strande“ von Schumann und „Verzagen“ von Brahms. Und: das erste von den drei Liedern aus dem Sheherazade-Zyklus von Ravel, „Asie“.
Es sind also Lieder, die sich mit der Landschaft beschäftigen, damit, was es bedeutet, am Meer zu stehen, den Wind zu spüren – das sind dann mehr Luftelemente. Und dann das Eintauchen – unter Wasser zu sein. Das sind im Programm dann Lieder wie „La mer est plus belle“ von Debussy, was wirklich das Meer beschreibt, wo es wirklich Protagonist ist. Oder „Where the Corals lie“ von Elgar, was eine Unterwasserreise ist. Und sonst sind es Lieder, die ich mit dem Gefühl verbinde, einzutauchen, sich von der Welt zu entfernen – so einen geheimnisvollen Ort für sich zu finden, wo man sich sicher fühlen kann, ein bisschen wie im Mutterbauch, aber in der Natur.
Wie entstand die Idee zu diesem Programm?
Das war ein sehr langer Prozess, der schon verschiedene Stadien erlebt hat. Vor etwa drei Jahren kam mir die Idee in den Kopf. Ich hatte zwei oder drei Lieder entdeckt, die mit dem Meer zu tun hatten wie „Verzagen“ von Brahms. Da habe ich gedacht: Das wäre ein tolles Thema, weil so viel von dieser Musik so fantastisch schön ist. Es macht wirklich sehr viel Spaß, das zu singen.
Dann entdeckte ich von Gosta Nystroem „På reveln“. Als ich vor einigen Jahren Teilnehmerin bei „Udo Reinemann International Masterclasses“ war, gab es jeden Monat ein Thema. Eines, das wir mit Anne Sophie von Otter bearbeitet haben, war das skandinavische Lied. Da habe ich natürlich viel recherchiert und viele Aufnahmen von ihr gehört und fand dabei auch eine Aufnahme von diesem Zyklus. Letzten Endes haben wir diesen dann nicht im Meisterkurs gemacht, aber ich hatte mir die Noten gekauft. Und dann kamen die mir wieder unter die Nase, als ich anfing, über dieses Thema nachzudenken. So kamen also die ersten Stücke zusammen. Im Juli 2019 hatte ich meinen Masterabschluss, für den ich auch dieses Thema genutzt habe, allerdings auch mit Oper und Oratorien, weil das für den Abschluss so sein muss. Und da ist mir dann die Idee für das Konzept gekommen – „über dem Meer“ und „unter dem Meer“.
Das ist natürlich auch sehr persönlich. Es gibt viele Leute, die das Eintauchen vielleicht auch mit negativen Gefühlen verbinden – Ertrinken, nicht Atmen können. Aber für mich ist es nicht so. Als ich klein war, habe ich es geliebt, unter Wasser zu sein mit der Taucherbrille, wenn es Wellen gab und einfach zu beobachten, wie die Wellen von unten aussehen. Es ist immer wieder eine Umwelt, in der ich mich wohlgefühlt habe. Daher kommt das.
Teil des Konzepts ist auch ein visueller Teil. Wie muss man sich das vorstellen?
Ja, es geht um Videokunst – live visuals. Das ist praktisch ein Film, der das ganze Konzert über läuft. Kein vorproduzierter Film, sondern etwas, das während des Konzerts entsteht. Die Künstlerin Linda Weidmann hat Kommunikationsdesign in Düsseldorf studiert. Sie macht ganz tolle Arbeiten. Ich liebe, was sie macht. Ihre Bildsprache und ihre ästhetische Sensibilität hat viel zu tun mit meiner. Ich konnte in ihren anderen Arbeiten, die nichts mit mir zu tun haben, schon viel von dieser Palette an Gefühlen entdecken, die auch in diesem Liederabend für mich steckt. Darum habe ich sie gefragt, ob sie Interesse hätte, das zusammen zu machen.
Es war dann ziemlich früh klar, dass es nicht nur eine Leinwand ist, auf die Bilder projiziert werden, sondern etwas, das die Stimmung des Raumes verändern kann, in dem das Publikum sitzt. Das ist natürlich von Raum zu Raum unterschiedlich.
In Hamburg haben wir mit dem Tonali-Saal einen Raum gefunden, der dafür geeignet ist. Dort gibt es Beamer auf allen Seiten, somit kann man ein Bild erzeugen, das 360 Grad ums Publikum herumgeht. Das ist natürlich die optimale Variante. Aber man muss auch flexibel sein und wissen, dass das nicht überall möglich ist. Es gibt auch die Möglichkeit, dass zum Beispiel zwischen mir und Publikum eine Leinwand gespannt ist, auf die die Bilder projiziert werden. Deswegen werden wir von Mal zu Mal entscheiden, wie wir es umsetzen.
Wie kam es denn eigentlich zum Wechsel vom Bühnenbild zum Singen?
Es ist so, dass ich schon immer gesungen habe – angefangen im Kinderchor, da war ich sechs. Das war ein sehr, sehr guter Chor, und ich war dabei bis ich Teenager war, danach einige Jahre in einem Mädchen-Vokalensemble. Dann habe ich mit 17 oder 18 mit Privatunterricht in Operngesang angefangen. Das war zu dieser Zeit schon meine größte Liebe. Aber als ich mit der Schule fertig war, mit 19, war ich noch nicht soweit, dass ich hätte sagen können: Ich werde Sängerin. Deswegen habe ich etwas anderes ausgewählt, was trotzdem natürlich eine Nähe zu Theater und zu den Künsten generell hatte.
Die Nähe zum Theater war also auch schon immer da?
Ich komme ja aus einer Theaterstadt. Mailand ist, was das angeht, ein interessanter Ort. Ich war ganz viel im Theater und das hat mich sehr inspiriert. Parallel habe ich dann im zweiten Studienjahr bemerkt, dass ich große Fortschritte machte mit der Stimme. Da habe ich angefangen zu überlegen: Okay, vielleicht lohnt es sich doch, es mit dem Studium zu versuchen.
Wie kamen Sie dann nach Düsseldorf?
Ich habe erstmal in Italien angefangen, für zwei Jahre, und dann aber festgestellt, dass die Organisation nicht so gut war, um ein Musikstudium solide aufzubauen – es gab kein Geld, um Projekte zu machen und die Dozenten wechselten ständig, weil sie keine festen Stellen haben. Dann lernte ich einen Korrepetitor aus Düsseldorf kennen in einem Meisterkurs, und der hat mir vorgeschlagen, einer Professorin an der Hochschule in Düsseldorf vorzusingen. Das hat gut geklappt, und so kam ich nach Düsseldorf.
Und Sie haben es nie bereut?
Nein. Das war auf jeden Fall die beste Entscheidung meines Lebens bis jetzt. Natürlich war es hart, von Italien wegzugehen. Ich bin auch die erste und bis jetzt die Einzige in meiner Familie, die wegging, dabei haben wir eine sehr innige Familie. Aber ich habe, was das Singen und das Musikstudium angeht, eine neue Heimat gefunden.
Und langfristig gedacht – wie sieht da Ihre Vision aus?
(lachend:) Beim Lied bin ich ja schon fleißig dabei.
Ich habe natürlich auch sonst Ideen, weiß aber nicht, ob die sich verwirklichen lassen. Mich interessiert sehr die zeitgenössische Oper, bzw. die Frage: Wie kann Oper heute klingen? Oder ob das ein Medium ist, das noch sinnvoll ist. Mein Traum wäre, eine Gruppe von Freunden und Kollegen zu haben, die sich auch für das Thema interessieren und mit denen man fest zusammenarbeiten kann. Das fände ich ganz toll.
Also ein eigenes Ensemble?
Ja, aber nicht nur mit Sängern, sondern mit zwei bis drei Komponisten, mit Dirigenten, Instrumentalisten und Regisseur. Das ist ja auch die Art, wie in Theatern gearbeitet wird: Dass die Regisseure ihre Bühnenbildner und Kostümbildner mitnehmen und ihr Folio an Leuten haben.
Was die Oper angeht, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich 20 Jahre an einem Haus bin. Ich mag es, künstlerisch unabhängiger zu sein. Wenn man fest an einem Haus ist, ist das eher nicht der Fall. Aber ich würde gerne mehr Erfahrung am Theater sammeln, als Gast oder auch als Festangestellte, denn das ist eine große Schule für die eigene Stimme, für die Musikalität und natürlich auch fürs Schauspiel. Über eine solche Chance würde ich mich sehr freuen.
Und binnen ein paar Jahren brauchen Sie jemanden, der Ihnen ein eigenes Haus finanziert, wo Sie dann andere Künstler um sich scharen.
(lachend:) Ja, wow, das wäre großartig.