
„In erster Linie geht es mir nicht darum, dass ich all diese Stücke gespielt habe, sondern darum, dass ich bereit bin, zu suchen.“
September 2020
mit Naré Karoyan sprach Lisa Ochsendorf
Wie kamst Du denn zum Kunstlied?
Aktiv noch gar nicht so lange. Im Moment mache ich ein Projekt mit einer Partnerin von mir, die auch bei Liedwelt Rheinland ist, und die ich schon seit vielen, vielen Jahren kenne. Das ist das Kurt Weill Projekt mit Simone Hirsch.
Worum geht es da?
Der ursprüngliche Gedanke war, ein bisschen gegen die Beethoven-Schiene zu gehen, weil ich darauf dann irgendwann keine Lust mehr hatte (lacht). Da dachten wir: Wir machen etwas anderes. Das war zum 120. Jubiläum von Kurt Weill 2020. Ich habe sehr viel recherchiert, damit wir auch Sachen kennenlernten, die außerhalb der Dreigroschenoper liegen. So habe ich viele sehr tolle Lieder entdeckt, die selten gesungen werden.
Unter den Entdeckungen war auch die Cellosonate, die fast nie gespielt wird. Und mit dem Cellisten Ira Givol spiele ich auch schon seit sehr langer Zeit. Daraus haben wir ein kleines musikalisches Taschentheater mit improvisierten Elementen gemacht, das das statische Konzertformat bricht. Wir haben beispielsweise die Sonate in verschiedene Teile aufgeteilt und spielen sie nicht in einem Stück, sondern sie ist auf das ganze Programm aufgeteilt und mit Textstellen aus Briefen und Berichten kombiniert, die wir hinzugenommen haben. So entstand unser Programm „Kurt, Weill er mehr ist„.
Sehr spannend! Gerade hast Du gesagt, dass ihr versucht, die klassische Konzertform aufzubrechen. Was gibt es noch für Möglichkeiten außer dem Aufteilen einer Sonate?
Bei diesem Programm haben wir natürlich auch Texte, die teilweise auch während Ira und ich die Musik speieln von Susanne vorgetragen werden. Dann gibt es noch Requisiten und während ich spiele, improvisieren die anderen etwas Theatralisches. Das ist es, was dieses Programm angeht. Bei einem vorherigen Programm mit Ira haben wir Volksmusik aus meiner Heimat, Armenien, und seiner Heimat, Israel, mit zeitgenössischer Musik aus den beiden Ländern kombiniert. Wir hatten dann 60 Minuten Musik, die ineinander übergegangen sind. Das heißt, die Leute haben nicht zwischendurch geklatscht und oft auch gar nicht gewusst, wo sie sich in dem Programm befinden, weil die Übergänge so fließend waren. Das war ein Herzensprojekt für uns beide. Das sind so verschiedene Wege, um keinen klaren Sonatenabend zu machen.
Ich habe auch von Deiner Konzertreihe Sinngewimmel gehört. Wie ist sie entstanden, wie kam die Idee und was ist das Konzept dahinter?
Diese Kammerkonzerte machen wir etwa einmal im Monat. Was für uns da schön ist, ist, dass wir Sachen ausprobieren können. Das Publikum ist auch bereit, Dinge zu hören, die es nicht jeden Tag hören kann – und sie sind auch experimentierfreudig, wenn es beispielsweise kleine Konzerte mit theatralischen Komponenten gibt. Das ist ein sehr treues Publikum, das immer kommt.
Es kommt auch immer in die Zeitung, was natürlich sehr hilft. Und wir haben auch einen guten Flügel. Das sind alles sehr positive Dinge. Aber mehr als einmal im Monat schaffen wir es nicht, da der Ort klein ist und wir sonst kein Publikum mehr garantieren können.
Hat denn jedes Konzert dort ein spezielles Konzept?
Im ersten Jahr war das so. Wir hatten teilweise Kinder dabei, die mit Profimusikern gespielt haben oder wir haben zwei Minikonzerte mit ganz verschiedenen Musikrichtungen gegenübergestellt oder ein Konzert mit Flüchtlingen oder ein Musikalischer Literaturabend. Aber man kann das nicht jedes Mal machen, da das ein enormer Aufwand ist. Vor allem, wenn man mit anderen das Projekt von Null aufbaut und entwickelt. Aber wir erwarten schon, dass die Leute Stücke spielen, die man nicht jeden Tag hört. Es ist nett, auch einmal eine Mondscheinsonate zu hören, aber wir wollen das nicht jedes Konzert haben. Das ist schon unser Ziel, darauf legen wir Wert. Wir wollen uns selbst und dem Publikum die Möglichkeit geben, Dinge zu entdecken. Ansonsten hat man fälschlicherweise das Gefühl, dass das Repertoire klein wäre.
Du spielst ja generell ein sehr fein ausgewähltes Repertoire. Wie wählst Du das aus, wie stellst Du Deine Programme zusammen?
Ich mag es einfach, auf Entdeckungstour zu gehen. Natürlich höre ich Musik und lese darüber – und wenn ich etwas finde, dann versuche ich darum herum etwas aufzubauen, das für mich Sinn ergibt. Oft hängt das auch mit meinen Partnern zusammen. Ich habe im Sommer zwei Konzerte mit meiner anderen Lied-Partnerin gemacht, Judith Hoffmann. Wir hatten ein Liederabendprogramm zusammengestellt, in dem Dichterinnen im Zentrum des Liederabends standen. Da haben wir die unglaublichsten Stücke und Texte entdeckt. Zwei Stücke sind sogar speziell für uns komponiert worden auf Texte von Bettina von Arnim und Else Lasker-Schüler. Das hatten wir an Stephen Harrap in Auftrag gegeben und an den Papa von Judith, Alf Hoffmann, der auch Komponist ist.
Ansonsten gibt es Stücke, die Standard sind in diesem Programm – wie Wagner Wesendonck-Lieder oder Schuberts Suleika – aber eben auch sehr viel Unbekanntes, wie ein Lied von Hindemith oder Prokofiew. Die sind zwar als Komponisten sehr bekannt, aber die Lieder werden kaum gespielt. Wir hatten diese Schnapsidee, das zu machen, und dann haben wir uns auf die Suche begeben und Dinge entdeckt, die wir wahrscheinlich ohne dieses Konzept nicht entdeckt hätten. Je weiter man sucht, desto mehr findet man auch. Es gibt viele Dichterinnen, die ihre Epoche von einer anderen Perspektive gezeigt haben und sehr starke Frauen waren. Da haben wir viel recherchiert und Dokumentationen geguckt, um hinter den Texten erst einmal Zugang zu diesen Frauen zu finden. Oft hatten sie auch tragische Lebensgeschichten, aber das hat sie auch geprägt und stark gemacht.
Du verfolgst also in Deinen Programmen eine Grundidee und von da aus suchst Du weiter?
Ja genau. Aber in erster Linie geht es mir nicht darum, dass ich all diese Stücke gespielt habe, sondern darum, dass ich bereit bin, zu suchen – und natürlich auch wieder vieles zu verwerfen, weil es in meinen Augen nicht passend ist. Man sucht als Musiker selbst – und vergibt Aufträge, was wir auch gemacht haben. Das war für mich auch nicht das erste Mal. Ich arbeite seit etwa zehn Jahren immer wieder mit Komponisten zusammen.
Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit dem Komponisten vorstellen? Ist das ein gemeinsamer Entwicklungsprozess eines Werkes?
Nein. Es kann sein, dass das so ist, wenn man eine Oper schreibt zum Beispiel. Aber sonst nicht. Bei Solostücken war es so, dass ich nur gesagt habe, wo und in welchem Kontext es gespielt werden soll. Und bei der Liedkomposition haben wir gesagt, dass wir gerne Texte von der Dichterin oder dem Dichter nehmen würden. Und welche Texte, konnten die Komponisten frei entscheiden. Ich denke, das wissen die Komponisten auch sehr zu schätzen, wenn man sich nicht einmischt. Natürlich ist das immer ein Risiko, man geht aber das Risiko ein – denn wie soll man sonst weiterkommen.
Wie geht es denn nun bei Dir weiter?
Im November mache ich wieder ein Projekt mit dem Schauspieler Ulrich Marx vom Bauturmtheater in Köln. Das ist ein theatralisches Projekt, wo er drei komplett unbekannte Kafka-Texte dialogisiert. Ich spiele dazwischen zwei Zyklen von Arnold Schönberg. Das haben wir voriges Jahr auch in Armenien zusammen gemacht. Dort waren die Reaktionen enorm gut. Und es war vor allem sehr inspirierend, zu merken, dass die Leute – die meistens mit Vorurteilen da reingekommen sind (weil sie dann denken „och ne Schönberg, oh ne Kafka“) – nach der Veranstaltung ein völlig anderes Gefühl hatten, weil sie gemerkt haben, dass die Texte teilweise unglaublich lustig sind. Und Schönberg auch keine abstrakte Musik ist, die trocken und unverständlich ist. Nach der Veranstaltung in Armenien ist ein Kind auf mich zugekommen und war vollkommen begeistert von Schönberg. Und dass das ein Kind sagt – das bedeutet schon sehr viel. Und ansonsten mache ich immer wieder auch Veranstaltungen mit Menschenrechtsaktivisten und Schriftstellern. Mich interessieren viele Dinge.
Es ist wichtig, dass man die Leute wieder packt!
Absolut!! Ich habe auch sechs Jahre in Live Music Now gespielt und ich hatte da so viele positive Erlebnisse, die ich sonst selten im wirklichen Konzert erlebt habe. Diese Offenheit der Reaktion, die überhaupt keine Steifheit und Grenzen kennt. Die Leute reagieren einfach, wie sie das Fühlen. Man ist sonst Opfer der eigenen Höflichkeit. Ich sage nicht, dass wir alle Barbaren werden sollen. Aber dass man so viel macht, einfach nur um Fassade zu zeigen – inwiefern ist das ehrlich? Ich meine, heutzutage macht das niemand mehr, aber die Premiere von „Le Sacre Du Printemps“ ist total in die Hose gegangen. Und trotzdem hat das Stück seinen Platz in der Musikgeschichte eingenommen. Diese Direktheit der Reaktionen, die ist toll. Oft lässt man sich heutzutage durch schöne Musik die eigene Haut streicheln und das ist ganz angenehm, aber dementsprechend passen viele Stücke gar nicht in dieses Konzept. Das ist ein bisschen Konsum.
Du hast jetzt so viel von Deinen Konzepten erzählt, wo Du andere Künste miteinbeziehst. Denkst Du manchmal, dass Du im nächsten Leben gerne Malerin oder Schauspielerin wärst?
Ich weiß es nicht. Ich bin in Malerkreisen groß geworden. Ich kenne deren Schwierigkeiten auch und darum beneide ich sie nicht (lacht). Also würde ich das wahrscheinlich nicht machen wollen. Ja, aber andere Ausdruckswege sind immer interessant. Mich interessiert auch das Schreiben oder das Fotografieren. Ich finde das alles sehr, sehr spannend. Dass man andere Wege hat, aber gleichzeitig das Ähnliche sucht. Das ist auch der Grund, warum ich viel mit anderen Künstlern zu tun habe. Das interessiert mich einfach.