
Stimmkunst, Nachtgeschichten und mehr
Juni 2022
Mit Silke Weisheit sprach Heike Paulsen
Die freischaffende Mezzosopranistin und Gesangspädagogin Silke Weisheit ist nicht nur auf Opernbühnen zu Hause und als Oratorien- und Passionssängerin gefragt. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Schauspieler und Sprecher Philipp Schepmann, dessen Stimme aus Radio und Fernsehen und auch aus Hörbüchern von Luca di Fulvio, Ken Follet und C.S. Lewis (Die Chroniken von Narnia) wohlbekannt ist, gestaltet Silke Weisheit seit Jahren ihre „Liederabende mit Rezitation“. Im August 2022 gibt es gemeinsam mit dem Pianisten Tobias Krampen einen besonderen Abend als Bestandteil des Liedsommers 2022, der uns entführen möchte in die Welt der Nacht, der Nachtigall und der Liebe in ihren verschiedenen Erscheinungen.
Frau Weisheit, wie ist die Idee zu den Liederabenden mit Rezitation entstanden?
Beruflich sind mein Mann und ich ja beide der Stimme, der Sprache und ihren Ausdrucksmöglichkeiten eng verbunden. Wir haben uns während einer Opernproduktion kennengelernt, bei der er als Schauspieler und ich als Sängerin tätig war. Als Hörbuchsprecher kann mein Mann den Geschichten seiner Lieblingsautoren, allen voran Luca di Fulvio, Leben verleihen, bei einer Opern- oder Operettenproduktion, zuletzt der Fledermaus, schlüpfe ich als Sängerin in eine Rolle der Geschichte. Der Wunsch, die verschiedenen Facetten dieses ursprünglichsten menschlichen Klangmediums gemeinsam genauer zu erforschen und zu präsentieren, entwickelte sich ganz natürlich. Wir können in den Liederabenden mit Rezitation unsere gesamte künstlerische und darstellerische Bandbreite nutzen. Ich finde es interessant und spannend, die dramaturgischen Möglichkeiten der Lied- und Dichtkunst der verschiedenen Epochen auf diese Weise zu erkunden. Es gefällt uns, wenn wir mit unseren Abenden Geschichten erzählen können, und so diese Kunstschätze neu zum Glänzen bringen können. Schon vor etwa 20 Jahren haben wir in diesem Sinne den ersten Abend gemeinsam mit dem Pianisten Stefan Rütter gestaltet. Das war damals zum Ambiente des Aufführungsortes, einer Kirche, passend ein Abend mit den „Vier ernsten Gesängen“ von Johannes Brahms, den „Biblischen Liedern“ von Antonín Dvořák und dazu ausgewählten Bibeltexten. Andere Abende drehten sich thematisch um Heinrich Heine, den Lieblingsdichter meines Mannes, Johann Wolfgang von Goethe oder das Ehepaar Schumann. Von der Barockzeit bis in die Moderne gibt es unglaublich spannende Gedichte, Geschichten und musikalische Textverarbeitungen, die alle Facetten der Stimme und möglicher Stimmfarben herausfordern können.
Was ist das Besondere an diesen Abenden?
Wir können durch die verschiedenen stimmlichen Ausdrucksformen den Texten mehr Leben verleihen. Hierin unterscheidet sich das Konzept vom klassischen Liederabend, bei dem Kunstlieder dargeboten werden und Zuhörende eher passiv Konsumierende im Konzertsaal bleiben. Durch die Kombination von Gesang und Rezitation gelingt eine andere Dramaturgie, die spürbar wird. Für uns als Kunstschaffende, die aus dem Schauspiel beziehungsweise aus dem Opernfach kommen, ist diese Herangehensweise an das Lied und an das Gedicht besonders erfüllend. Aus meiner Tätigkeit als Gesangspädagogin weiß ich, dass durch eine andere Herangehensweise an das Kunstlied auch Menschen erreicht werden können, die nicht in ein „Meisterkonzert“ gehen würden.
Welche Erfahrungen haben Sie denn in diesem mit Ihren Schülerinnen und Schülern erlebt?
Das Unterrichten und auch das stetige Weiterentwickeln meiner eigenen Stimme mit Ingeborg Danz ist für mich eine dauerhafte Bereicherung. In der Unterrichtspraxis mit Jung und Alt gehen die Literaturwünsche der Schülerinnen und Schüler ja von Alter Musik bis in die Popmusik hinein. Junge Sängerinnen und Sänger möchten sehr oft Songs singen, die sie aus dem Radio oder den sozialen Medien kennen. Popmusik lebt jedoch häufig von den begleitenden Instrumenten und auch der Art der Darstellung in einem Video, so dass das bloße Singen der Singstimme hinter den persönlichen Erwartungen zurückbleibt, obwohl die Gesangsstimme der Schülerinnen und Schüler gut ist. Hier ist es eine interessante Aufgabe für mich als Lehrende, auch diesen Bereich der zeitgenössischen Musik zu erforschen. Ich merke, dass es jungen Menschen oft leichter fällt, englische Texte zu singen. Hier gibt es zahlreiche Popballaden und Werke aus Musicals, aber auch alte Melodien wie die von John Dowland, die den Schülerinnen und Schülern helfen, ihre Stimme in melodischerem Gesang kennenzulernen. Auf diese Weise wächst oft das Verständnis auch für komplexe Melodien und andere Musikstile.
Die Kombination von Lied mit Video und Bildmaterial ist andererseits mittlerweile aus der Alltagswelt der jüngeren Generation nicht mehr wegzudenken, sei es bei Youtube, Tiktok oder anderen sozialen Medien. Die Produkte, die im Internet verfügbar sind, zeigen oft ein hohes Maß an Professionalität. Hier haben wir, das heißt, Tobias Krampen und ich, mit umfangreicher Unterstützung nicht nur meines Mannes und unseres Sohnes vor einiger Zeit das Video „Auf dem Wasser zu singen“ nach dem bekannten Schubertlied entwickelt, das die Geschichte diese Liedes neu erzählt. Das hat uns große Freude gemacht.
Worauf können wir uns in diesem Zusammenhang im August freuen?
Gedichte und Gesänge über die Nacht in ihren Schattierungen beschäftigen uns schon seit mehreren Jahren. Mit Tobias Krampen haben wir in unserem Team einen großartigen, vielseitigen und Neuem aufgeschlossenen Liedpianisten. Trotz der Einschränkungen durch die Pandemie konnten wir uns regelmäßig zur Weiterentwicklung des Programms treffen und Neues ausprobieren. Zu dritt haben wir einen großen Schatz an Nacht-Gedichten, -Texten und -Liedern gehoben, der ehrlich gesagt gut für zwei Abende reichen würde.
Entstanden ist ein zweiteiliger Liederabend: Wir nehmen die Zuhörenden zunächst mit in eine Geschichtenwelt der Nachtstimmung. Das Klavier führt uns hinein in die erste Hälfte der Nachtgeschichten. Und dann verraten wir noch, dass es Gedichte von Joseph von Eichendorff geben wird und Lieder aus Robert Schumanns Liederkreis op 39, aber auch Spätromantisches von Hector Berlioz aus Les nuits d´été (Der Geist der Rose). Und wo wir bei der musikalischen Betrachtung der Rose sind, war die Einbindung des Märchens „Die Nachtigall und die Rose“ von Oscar Wilde in die zweite Konzerthälfte eine wahrhaft stimmige Weiterentwicklung.
Das klingt sehr bunt und farbig!
Ja, es wird eine facettenreiche Geschichte sein. Wir freuen uns auch darauf, während des Abends eine dramaturgisch abgestimmte begleitende Videoinstallation einbinden zu können. Hierfür passende Aufführungsorte zu finden, war nicht einfach. So können wir den Zuhörenden und Zusehenden ein ganzheitliches Erlebnis versprechen, das hoffentlich lange in guter Erinnerung bleibt. Das finden wir gerade in diesen unsicheren Zeiten so wichtig: In Zeiten der Pandemie haben viele Menschen immer noch Sorge, sich in einen Konzertsaal zu setzen. Wenn es dann gelingt, ihnen ein lebendiges Kunsterlebnis zu vermitteln, ist das für uns als Kunstschaffende auch ein besonderes Geschenk.