
„Ich liebe es Verbindungen zu schaffen, zwischen klassischen Liedern von Bach zum Beispiel und moderneren von Moritz Eggert. Das kann man einfach im Lied so gut. Das spricht an und hält die Zuhörer gleichermaßen wach.“
Mai 2021
„Crime Scenes“
Mord und Totschlag, Raub und Diebstahl, Betrug und Missbrauch – seit der Existenz der Menschheit werden Verbrechen begangen. Die Fantasie der Menschen kennt keine Grenzen, wenn es darum geht jemand anderem Schaden zuzufügen. Die Mezzosopranistin Esther Valentin sprach im Interview mit Barbara Franke über ihr neues Album „Crime Scenes“, darüber wie die Liedkunst mit solch brisanten Themen auch in den Genuss von jüngerem Publikum kommen könnte und warum eine CD-Aufnahme eigentlich so anders ist als ein Liederabend.
Esther Valentin, in Ihrer Vita steht, dass Sie sich neben Opern- und Konzerttätigkeit auch leidenschaftlich dem Kunstlied widmen. Sie selbst nennen sich sogar einen „Lied-Freak“. Dazu zuallererst die Frage: Warum lieben Sie als junge Sängerin eine Kunstform, die ja offensichtlich eher ältere Menschen anlockt und zudem noch eine echte Nische zu sein scheint?
Ich bin aufgewachsen mit Renaissance-Musik und zeitgenössischer Musik, also dem sehr abgefahrenen Kram. Meine Mutter hat auch mal Liederabende gegeben. Eigentlich wollte ich auch eher Musical-Sängerin werden, naja, weil ich das mit 14 cool fand. Mein Vater hat dann aber spontan mit mir Lied ausprobiert und das gelang mir tatsächlich viel besser. Sich als junger Mensch für eine ältere Kunstform zu begeistern, das klingt vielleicht erstmal ungewöhnlich, aber ich habe einfach gemerkt: da will meine Stimme hin.
Und am Lied selbst reizt mich die Vielfältigkeit an einem Abend, ein Hauskonzert mit 45 – 90 Minuten Liedprogramm ist sehr anstrengend und fordernd. Anfangs habe ich da auch gar nicht so auf das Publikumsalter geachtet. Ich liebe es Verbindungen zu schaffen, zwischen klassischen Liedern von Bach zum Beispiel und moderneren von Moritz Eggert. Das kann man einfach im Lied so gut. Das spricht an und hält die Zuhörer gleichermaßen wach.
Sie sind also in einer Musikerfamilie großgeworden. Kommt daher Ihre Affinität zur Musik?
Ganz klar: Ja! Ich kenne super viele Musiker, die aus Musikerfamilien kommen. Gerade bei klassischer Musik, weil man vielleicht ansonsten da gar nicht so den Zugang findet. Mich haben meine Eltern inspiriert, weil Musik immer um mich herum passierte. Wir hatten ganz viele Instrumente zuhause stehen, vor allem alte wie Pommer und Gamben. Meine Eltern haben Musikunterricht gegeben und ich erinnere mich daran wie ich unter dem Flügel gelegen habe und dabei manchmal eingeschlafen bin. Während der Konzerte meiner Eltern haben meine Geschwister und ich auf der Kirchenbank gesessen, auf sie gewartet und sind anschließend in Restaurants gegangen. Das war immer was Besonderes, da durften wir als Kinder bis nach zehn aufbleiben. Ich habe Cello gelernt und Trompete, das wollte ich auch studieren, aber dann kam doch der Gesang dazwischen. Meine Schwester macht übrigens Elektropop und spielt Klarinette. Mein Bruder Physiotherapeut geworden. Die Quote also: Zwei von Dreien haben sich der Musik verschrieben.
Ich zitiere nochmal, diesmal aus den „11 Fragen“: Man solle sich als Künstler nicht einreden lassen, das Kunstlied würde bald aussterben. Was macht Sie da so sicher?
Ich habe relativ viele Lied-Wettbewerbe gemacht. Anders als man vielleicht denkt, bewerben sich da mehr Künstler als tatsächlich eingeladen werden können. An solchen Wettbewerben merkt man dann auch wie viele junge Lied-Duos es gibt, die ernsthaft mit dem Lied arbeiten. In den letzten Jahren wurden außerdem diverse Liedfestivals aus dem Boden gestampft, auch von relativ jungen Künstlern und die Bewerberzahl für diejenigen, die davon Teil sein wollen, ist sehr hoch. Ein Liederabend ist zwar nicht vergleichbar mit den Besucherzahlen von der Philharmonie, aber meine Konzerte waren bisher immer voll und es werden auch noch häufig CDs produziert.
Wie könnte das Kunstlied auch einen Rahmen bilden, der jüngere Menschen anzieht? Gibt es auch moderne Stücke, die Sie zum Beispiel mit Ihrer Duo-Partnerin Anastasia Grishutina interpretieren?
Einmal ist es das Thema, das man für einen Liederabend wählt. Wenn man da etwas Spannendes findet, das Menschen generationsübergreifend beschäftigt, man muss den Nerv der Zeit treffen und dann eben zeigen wie wir das mit der Liedkunst verbinden können. Dazu kommt die Art und Weise der Performance, natürlich ist es für mich auch leichter mich einfach vor den Flügel zu stellen und mein Konzert zu singen. Wir brauchen aber heute mehr Action, weil wir es nicht mehr gewöhnt sind neunzig Minuten ausschließlich einem Duo zuzuhören. Duette und mehrere Sänger, ein kleines bisschen Szene, das sind da Möglichkeiten, auch um den Druck rausnehmen. Das Gefühl „stillsitzen und durchhalten“ muss weg. Andere Kunstformen dazu zu nehmen funktioniert ebenso gut, Lesungen zum Beispiel, Tanz oder bildende Kunst. Die viel größere Arbeit muss hier aber die PR leisten und sich fragen: Wie kriegen wir die Leute da eigentlich hin?
Mit Frau Grishutina haben Sie schon den internationalen Schubert-Wettbewerb gewonnen, gemeinsam Aufnahmen gemacht und hochschulintern außerdem mit Rie Akamatsu Preise bei einem Liedwettbewerb abgeräumt. Das zeichnet Sie offensichtlich als guten Duo-Partner aus. Worin liegen Ihre Stärken in der Zusammenarbeit mit anderen?
Mir war schon immer wichtig, dass alles auf Augenhöhe passiert. Ich hatte nie die Haltung, dass ich die Sängerin bin, die von der Pianistin begleitet wird. Das ist leider nicht immer selbstverständlich. Für mich ist Lied auch total Kammermusik und ich versuche den Klavierpart immer gut zu kennen, was eigentlich ebenso selbstverständlich sein sollte.
Nochmal zu den Aufnahmen. Die erste CD „Amors Spiel“ haben Sie 2019 mit Duo-Partnerin Grishutina aufgenommen. Im März dieses Jahres folgte „Neue Dichter Lieben“ von Moritz Eggert mit Konstantin Paganetti und ebenfalls Grishutina und außerdem die Einspielung aller Brahmslieder mit Ulrich Eisenlohr. Es steht aber dieses Jahr auch noch eine zweite Duo-CD mit dem Namen „Crime Scenes“ an. Worauf kann sich der Zuhörer hier thematisch einstellen?
Wir haben verschiedene Kategorien von „Verbrechen“ gebildet und uns gefragt, was wir mit Verbrechen assoziieren, wenn wir über sie nachdenken. Insgesamt war das alles sehr düster, sollte dann aber nicht zu drastisch werden. Deshalb haben wir auch „süße Verbrechen“ mit in das Programm eingebunden, also zum Beispiel zwei Liebende, die sich heimlich treffen. Ein relativ großes Feld ist Krieg, unter anderem mit einem Lied aus Theresienstadt, Missbrauch wird ein Thema sein. Dabei ist zum Beispiel die „Ballade vom Heideknaben“, wo ich nur spreche, was ganz neu für mich ist oder die „Vergewaltigung des Heidenrösleins“. Bei Moritz Eggert verarbeitet eine Dichterin ihre eigene Vergewaltigung unverblümter als in den anderen Liedern, allerdings auch nicht ganz unverblümt, weil sie ihre Originalfassung aufgrund eines Gerichtsverfahrens kürzen musste. Dazu kommen Verbrechen aus Leidenschaft und Verbrechen an Tieren. Es wird also bestimmt unbequem für das Publikum, aber das habe ich gerne.
Wenn wir zum Beispiel über die „Vergewaltigung des Heidenrösleins“ sprechen: Das klingt fast schon verniedlichend. Kann das Lied trotzdem die Grausamkeit treffen, mit der wir Vergewaltigung heute sehen?
Ja, auf jeden Fall. Allerdings nur mit der richtigen Darstellung. Es ist ein Strophen-Lied und wir variieren hier etwas, dadurch kriegen wir vor allem am Ende viel Schock mit rein. Es kommt darauf an wie du das Lied singst, wenn du es singst wie ein klassisches Schubert-Lied, dann wirst du es nicht gut performen. Für mich braucht das die innere Dramatik einer Ballade, damit wir diese Art von Schmerz authentisch vermitteln können. Dazu kommt der Kontrast zu Moritz Eggert, mit dem wir so eine Greueltat schon deutlicher machen können. Vergewaltigung war nie harmlos, auch wenn die Sprache heute direkter und klarer sein kann als damals.
Auch ein Beitrag zur heutigen Feminismus-Debatte also?
Ein Stück weit auf jeden Fall. Weil wir, wie gesagt, versuchen das Thema transparent zu machen und zu zeigen: Missbrauch war und ist heute immer noch aktuell. Wir möchten, eben in unserer Sprache der Liedkunst, weiterhin darüber sprechen und mit dem Finger drauf zeigen.
Was reizt Sie an der Thematik des „Verbrechens“ und der damit ja auch verbundenen düsteren Ästhetik? Sind Sie Krimi-/Thriller-Fan?
Ich bin total der Crime-Fan, habe früher Criminal Minds geschaut, was ich heute übrigens viel schwerer kann. Letztens war ich abends in einem Hotel, habe zufällig nochmal eine Folge gesehen und dachte: Wie konnte ich mir das als Teenager bloß anschauen? Ich lese außerdem gerne Bücher aus dem skandinavischen Raum, viel von schwedischen Autoren wie zum Beispiel von Christina Olson, das ist meine absolute Lieblingsautorin. Mich reizt wohl das Unberechenbare, auch selbst zu knobeln wie Fälle ausgehen. Im Kunstkontext geht es mir aber darum, konsequent an Verbrechen zu erinnern, indem wir darüber zu sprechen. Für unseren Liederabend der „Crime Scenes“ überlegen wir eine Lesung, bei der zwischen den Liedern Texte über wahre Verbrechen gelesen werden. Auch wieder um zu zeigen, dass das, worüber wir singen leider groteske Realität ist und nicht nur Kunst.
Wie unterscheiden sich denn dann die Aufnahmen von öffentlichen Auftritten und dem „Entwurf“ neuer Programme, die, sagen wir vor allem für das Konzert-Setting gedacht sind?
Bei der Entwicklung tatsächlich gar nicht so sehr, Konzeption für die Anordnung der Lieder und die Recherche sind ähnlich. Liederabende kann man allerdings mehrmals machen und für mich ist die Stimmung da auch sehr entscheidend. Das Setting, der Live-Charakter und das Publikum kreieren eine ganz eigene Energie. Kleine Fehler fallen viel weniger ins Gewicht als bei einer CD, da hörst du wirklich jeden Fitzel und du musst schon einen ziemlich genauen Plan von den Liedern haben, weil du bei vier Aufnahmetagen nicht zehn Stunden am Tag singen kannst. Du darfst außerdem nicht den Fehler machen die Lieder „totzuproben“. Wenn ich einen Film sehe, wo viele Schnitte sind, dann frage ich mich immer wieder: Wie schaffen es die Schauspieler, dass ich dranleibe, obwohl sie die Szene offensichtlich mehr als einmal gespielt haben? Bei einer CD darf die Lebendigkeit nicht verloren gehen und trotzdem sollte sie so perfekt wie möglich sein.
Sprechen wir bei der Vielzahl an Aufnahmen von einem „Corona-Ersatz“ für den Wegfall der Auftritte?
JAA, und das ist mein großes Glück. Tatsächlich wären die Aufnahmen jetzt auch ohne Corona gewesen, aber ich habe tatsächlich nur sehr wenige Konzerte. Für mich ist das also ein totaler Ersatz und ehrlicherweise würde es mir sonst auch sehr schwer fallen mich fit zu halten, weiter zu üben und mich auf etwas vorzubereiten, was möglicherweise post-Corona stattfinden kann. Natürlich sollten jetzt alle Sänger die Zeit nutzen, um an ihrer Technik zu arbeiten, den „Körper putzen“ sozusagen. Das ist aber schwierig. Während der Pandemie habe ich mich tatsächlich auch gefragt, ob ich denn durch und durch Künstlerin bin, wenn ich mich dazu nicht immer motivieren kann. Tatsächlich bin ich aber leidenschaftliche Sängerin, allerdings brauche ich, und da spreche ich sicherlich für viele Künstler, ein Ziel, also ein Programm oder eine Aufnahme, auf das ich hinarbeiten kann.
Liebe Frau Valentin, wir danken Ihnen sehr für das Gespräch!