“Ein Lied birgt oft einen ganzen Kosmos in sich.”
1. August 2019
Mit Karola Pavone sprach Verena Düren
Karola Pavone über ihren Werdegang und warum das Kunstlied niemals aussterben wird.
Liebe Frau Pavone, könnten Sie sich und Ihren Werdegang vielleicht zunächst einmal kurz erläutern? Wie sind Sie zum Gesang und zum Lied gekommen?
Ich bin einem musikalischen Haushalt groß geworden, wir haben alle musiziert. Mein Vater ist Italiener und hat einen Hang zur Musik und meine Mutter ist Musikerin. Daher wurden wir also schon früh an Musik herangeführt. Für mich und meine Geschwister war es selbstverständlich, von Musik und Gesang umgeben zu sein, und so waren wir als Kinder schon oft fasziniert von so manchem Schubertlied, ohne dass wir wussten, worum es sich genau handelte.
Ich habe Bratsche gelernt, was mich als Sängerin prägt.
Meine Kindheit habe ich in Italien verbracht und habe dort mit Blockflöte, Geige und Klavier begonnen. Als wir dann nach Deutschland kamen – da war ich zwölf Jahre alt – gab es die Möglichkeit, das Musizieren zu vertiefen. Wie meine Mutter auch habe ich Bratsche gelernt, was mich bis heute als Sängerin prägt. Als solche habe ich oft einen kammermusikalischen Ansatz, was gerade bei der Gattung Lied so immens wichtig ist. Dort kann keine Rede mehr von einer reinen Begleitfunktion des Klavierpartners sein. Letzten Endes habe ich mich auf den Gesang konzentriert, auch weil er eben so vielseitig ist: man hat die Oper, man hat das Lied und viele andere Möglichkeiten.
Sie haben gerade schon die Gattung Lied erwähnt, auf die Sie sich ja u.a. spezialisiert haben. Was fasziniert Sie an dieser Gattung?
Ich denke, dass meine Faszination durch das Instrumentalspiel und meine Begeisterung für Kammermusik kommt, denn ich mag diese intensive Art des Miteinanders beim Lied ausgesprochen gerne. Wenn man es mit der Oper vergleicht, dann ist es eine ganz andere Kommunikation – sowohl mit den anderen Musikern als auch dem Publikum. Ich empfinde es als eine andere, größere künstlerische Verantwortung, die man als Musiker hat, was wiederum sehr schwer, aber auch spannend und sehr befriedigend ist.
Ich habe Lieder im Repertoire, die ich seit über zehn Jahren singe, und ich kann darin immer wieder etwas Neues entdecken.
Lieder gehörten in meiner Familie immer zur Hausmusik dazu, so dass ich damit von klein an ‚rumgespielt‘ habe. Schon damals hat wohl etwas zu mir gesprochen. Hinzu kommt auch meine Begeisterung für Lyrik und die Verschmelzung der Gattungen. Wenn man ein Lied interpretiert, kann das eine andere Intensität haben als eine Opernarie. In der Oper schlüpft man für drei Stunden komplett in eine andere Rolle, aber beim Lied muss man als die Person, die man ist, den Text vermitteln, die Geschichte zum Leben erwecken. Ein Lied birgt oft einen ganzen Kosmos in sich, es kann eine ganze Oper in drei Minuten sein. Es kann so viel passieren! Ich habe Lieder im Repertoire, die ich seit über zehn Jahren singe, und ich kann darin immer wieder etwas Neues entdecken. Und das wiederum ist etwas, womit man erreichen kann, dass man in einem gelungenen Liederabend sowohl Laien als auch Experten berührt und begeistert.
Haben Sie ein Lieblingslied oder eines, das besonders wichtig für Sie war und ist?
Die Frage kann ich so nicht beantworten. Inzwischen habe ich ein großes Repertoire an Liedern, das wiederum so vielseitig ist, dass ich mich da nicht festlegen kann und will. Es gibt für mich ein paar Komponisten, die ich als für mich ‚unverzichtbar‘ ansehen würde.
Es gibt für mich ein paar „Helden des Kunstlieds“, weil deren Lieder mich berührt und erschüttert haben.
Wenn Sie so wollen, zählen natürlich Schubert, Brahms, Wolf und Schumann zu meinen „Helden des Kunstlieds“, weil deren Lieder mich berührt und erschüttert haben. Ich bin auch ein großer Fan von Berg und Schönberg, da diese noch ganz andere Farben in ihren Liedern haben. Und es gibt unzählige Komponisten, die weit weniger bekannt sind als die oben genannten, aber unglaublich schöne, intensive „Perlen“ von Liedern geschrieben haben. Ich könnte Ihnen natürlich jetzt ein paar Lieder nennen, ohne die ich nicht mehr Sängerin sein wollte, aber dann hätte ich sofort ein schlechtes Gewissen den anderen wunderbaren Liedern gegenüber. Ich halte es wie Don Giovanni in der Oper. Er sagt sinngemäß, nach der ehelichen Treue befragt: wenn ich nur einer Frau treu bin, betrüge ich ja alle anderen (lacht).
Sie unterstützen als Sängerin das neu gegründete Netzwerk „Liedwelt Rheinland“. Was finden Sie an der Netzwerk-Arbeit so wichtig und warum braucht das Lied diese?
Im Gegensatz zu vielen Anderen bin ich nicht der Meinung, dass das Kunstlied eine aussterbende Gattung sei. Es gibt Dinge, die so gut sind, dass sie nicht aussterben können, und das Lied gehört dazu. Aber ich sehe auch, dass das Lied eine stärkere Lobby braucht. Es ist sehr schade, dass ein Liederabend immer noch als so elitär gilt. Die meisten Lied-Sänger machen außerdem alles in Eigenregie und nur die wenigsten haben eine Konzertagentur, die Liederabende vermarkten will oder kann.
Es gibt viele interessante Liederabende, aber zu wenige Menschen erfahren davon.
So gibt es beispielsweise viele interessante Sänger und Pianisten, viele spannende Liederabende, aber zu wenige Menschen erfahren davon. Wenn man als Sänger nicht gerade fest an einem Opernhaus ist, dann fehlt außerhalb der ganz großen Festivals und Konzertreihen jede Form von institutioneller Unterstützung für das Lied. Für Liedinterpreten gab es eine solche Plattform bisher nicht. Insofern ist es ganz wichtig, dass es das Netzwerk nun gibt.
Unser Netzwerk konzentriert sich ja schwerpunktmäßig auf die Rheinschiene. Welche Verbindung sehen Sie persönlich zwischen der Gattung Lied und dem Rheinland?
Es gibt natürlich die Dinge, die auf der Hand liegen, wie die zahlreichen Vertonungen von Gedichten über den Rhein oder auch die Dichter und Komponisten, die sich im Rheinland aufgehalten haben.
Im Rheinland immer schon viel passiert, was sich auch in den Liedern und deren Gedichten wiederspiegelt.
Darüber hinaus ist aber im Rheinland immer schon kulturgeschichtlich, politisch und gesellschaftlich viel passiert, was sich natürlich auch in den Liedern und den zugrundeliegenden Gedichten spiegelt. Schließlich sind Gedichte und Lieder auch ein Stück weit als Spiegel der Gesellschaft entstanden und beinhalten Hinweise auf aktuelle gesellschaftliche Situationen. Ein Beispiel möchte ich vielleicht nennen, das auch zeigt, wie weit das Rheinland ausgestrahlt hat; so gibt es zum Beispiel eine sehr humorvolle Loreley-Vertonung von George Gershwin, was man ja nun nicht vermuten würde.
Sie sind am 19. Oktober 2016 bei einem Liederabend in der Reihe „Im Zentrum Lied“ zu hören. Was erwartet den Zuhörer an diesem Abend?
Das Programm ist sehr interessant; es zeichnet in bekannten und weniger bekannten Liedern das Leben von Paul Verlaine nach, das sehr vielseitig, teils euphorisch glücklich und teils trüb und depressiv war.
Spannender Liederabend bei Im Zentrum Lied am 19.10.16 spürt Paul Verlaine nach
Die Programmgestaltung für diese Reihe macht im Wesentlichen die Sängerin und bisherige künstlerische Leiterin Ingrid Schmithüsen. Das ist für einen Lied-Sänger natürlich zunächst mal ungewöhnlich, dass man sich komplett in die Hände eines Anderen begibt. Aber sie hat ein so großes Repertoirewissen, dass es für mich eine spannende Gelegenheit zur Weiterbildung sowie eine sehr angenehme Zusammenarbeit ist. Ich darf aber auch ein paar eigene Ideen verwirklichen und bin sehr glücklich, einige Lieder eines eher unbekannten Komponisten (Charles Loeffler) singen zu dürfen, die original für Gesang, Klavier und Bratsche geschrieben sind. Dadurch bekommt der Abend noch eine seltenere, reizvolle Farbe, für die ich als große Liebhaberin dieses Instruments natürlich besonders dankbar bin.
Dann freuen wir uns auf Ihren nächsten Liederabend im Rheinland und bedanken uns für das Gespräch!