“Manchmal geht das so weit, dass ich mit dem Einatmen des Sängers schon antizipieren kann, wie der Ton klingen wird.”
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Mit Tobias Krampen sprach Heike Paulsen
Die Konzerte im September 2018 in Bonn, bei denen Sie mit Elena Marangou die CD „Into a Children`s Room“ mit Liedern unterschiedlicher Komponisten aus unterschiedlichen Kulturen vorstellen, sind ein schöner Anlass, mit Ihnen, Herr Krampen, ins Gespräch zu kommen über Ihre musikalische Arbeit. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit mit Frau Marangou gekommen??
Das Programm ist größtenteils von Elena Marangou ausgewählt und zusammengestellt worden. Die Zusammenarbeit mit ihr begann ursprünglich im Rahmen von privaten Korrepetitionsstunden. Es ist großartig, welche unterschiedlichen Stile, Sprachen und Inhalte Elena in dieser abwechslungsreichen Einspielung zusammengestellt hat und die Arbeit an den Werken war auch eine Bereicherung für mein Repertoire als Begleiter.
Insgesamt erscheint einem als Außenstehendem die Arbeit eines Liedpianisten als große Herausforderung. Die Musikliteratur besteht ja nicht nur aus Schuberts Liedzyklen und anderen Klassikern, sondern, wie ja auch die CD zeigt, aus einer Unzahl an zu hebenden Schätzen.?
Darin liegt für mich seit langer Zeit schon die große Faszination meiner Arbeit. Ich habe schon als Jugendlicher Sprache und literarische Texte geliebt und das Lesen ist neben der Musik eine weitere Leidenschaft in meinem Leben.
Das klingt, als habe die Liedbegleitung und die Kammermusik für Sie bereits früh in der beruflichen Laufbahn zum Programm gehört??
Nur teilweise. Zwar gab es zu Hause früher auch gemeinsames Spiel mit meinem Bruder, der Geiger ist, aber ursprünglich habe ich das Studium zum Konzertpianisten abgeschlossen. Während des Studiums in Hannover gab es eigentlich nur wenige Berührungspunkte zur Liedgestaltung. Es ist eher so, dass ich weit weg von Deutschland meine besondere Neigung zum Lied entdeckt habe: Im Aufbaustudium an der McGill University in Montréal nahm ich an einem studienbegleitenden Zusatzangebot in “Song Interpretation“ teil. Ich lernte das europäische Liedgut also in Kanada neu kennen.
Die Besonderheit der menschlichen Stimme berührt mich stark
Seit dieser Zeit schätze ich die künstlerisch bereichernde Arbeit und die Möglichkeiten, die diese gerade mit Sängerinnen und Sängern birgt. Es ist nicht nur die Zeit, die man mit Proben und Meisterkursen gemeinsam verbringt, sondern auch die, welche außerhalb der künstlerischen Arbeit, zum Beispiel beim Essen oder auf Reisen in anregenden Gesprächen miteinander verbracht wird. Hier ist es gerade bei der Liedgestaltung zwischen Sängern und Pianisten möglich, etwas ganz Besonderes und Individuelles zu entwickeln. Und es gefällt mir, meine fachlichen Möglichkeiten als Pianist in diese Arbeit mit einzubringen. Ich mag es, das Geschehen auf der Bühne mitzugestalten und zu steuern.
Es ist schön, ausgehend von der genauen Kenntnis der Liedliteratur den sängerischen Kollegen in seiner Arbeit auf diese Weise zu unterstützen. Manchmal geht das so weit, dass ich mit dem Einatmen des Sängers schon antizipieren kann, wie der Ton klingen wird. Die Besonderheit der menschlichen Stimme berührt mich stark und die große Individualität und Bandbreite meiner sängerischen Kollegen ist es, was ich an der Arbeit als Liedpianist so liebe.
Wie ist das möglich, wenn man bedenkt, dass alleine das Liedgut von Schubert circa 700 Werke umfasst??
In diesem Zusammenhang ist meine Liebe zu Literatur, Gedichten und Texten eine große Hilfe. Ich mag es, die jeweilige Liedliteratur so weit durchgearbeitet zu haben, dass bei der Zusammenarbeit mit den Sängern direkt der gestalterische Aspekt in den Vordergrund rücken kann, damit ich mit meiner Erfahrung und Notenkenntnis den sängerischen Partner bestmöglich unterstützen kann.
Geben Sie diese in jahrelanger Zusammenarbeit zum Beispiel mit Christoph Pohl und Ingeborg Danz gesammelten Erfahrungen auch weiter??
Im Rahmen meines Lehrauftrages an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz unterrichte ich Liedgestaltung für Sängerinnen und Sänger. Zum Teil kommen diese mit ihren jeweiligen Pianisten in den Einzelunterricht, sodass ich auch Duos in ihrer Arbeit betreuen kann. Ein besonderes Anliegen ist es mir hierbei, die Künstler in ihrer Individualität zu bestärken. Die jungen Künstler sind handwerklich hochqualifiziert und motiviert, jedoch durch den Anforderungen des Studiums mit der großen Bedeutung des Erwerbs von Scheinen und Credits in ihren Entfaltungsmöglichkeiten oft gebremst. Hier liegt eine besondere Chance der Beschäftigung mit dem Liedgut. Das Lied ist insgesamt eine leisere Kunstform im Vergleich zum Auftritt des Sängers auf großen Opernbühnen. Die ganz intime und feine Arbeit mit den Texten gibt den Künstlern die Möglichkeit, eine Brücke zu ihrer ganz persönlichen Kreativität als Sänger oder Pianist zu schlagen.
Wie können wir uns das vorstellen??
Es geht darum, die auf den ersten Blick teilweise altmodisch wirkenden Texte zum Beispiel der romantischen Literatur, weltbekannte Texte wie den „Lindenbaum“ oder das „Gretchen am Spinnrad“, für sich als Künstler in ihrem Bedeutungsgehalt neu zu deuten. Es sind ja zunächst Gedichte, die Komponisten seinerzeit so tief berührt haben, dass sie diese zum Anlass genommen haben, wunderbare, zeitlose Musik zu erschaffen, deren Notentext für sich genommen bereits ein Kunstwerk und schon eine individuelle Interpretation des Textes ist. Und aus dieser einzigartigen Verschmelzung zweier Kunstgattungen können wir schöpfen.
Abseits von einer eher aus der Tradition der „Meisterlehre“ stammenden Liedinterpretation, besteht ja die Möglichkeit, den Symbolgehalt der Textbilder in Verbindung mit der Komposition neu für sich als Künstler zu entdecken und für die persönliche Interpretation zu nutzen. Ich arbeite mit den Sängern und Pianisten sehr viel am Text, rege dazu an, diesen zunächst individuell für sich und auf sich wirken zu lassen:
Wofür steht beispielsweise die Zeile „Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum“? In einem assoziativen Prozess entwickeln sich so Bilder über persönliche Sehnsuchtsorte, die auch mit der Biographie des jeweiligen Künstlers zusammenhängen. Ausgehend davon ist es möglich, die bei guten Texten immanente universelle Symbolik zu erkennen und dann hörbar zu machen. Es ist so, dass es ja trotz kultureller Unterschiede der Studierenden, die ich unterrichte, im Eigentlichen um das Sichtbarmachen allgemeingültiger emotionaler Inhalte geht.
Das Lied als Brücke zur künstlerischen Infividualität
Und hier kann das Lied in besonderer Weise Brücken bauen zur künstlerischen Individualität. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Technik sehr gut funktioniert. Die Ergebnisse überzeugen dabei umso mehr, je mehr es dem Dozenten gelingt, die eigene Wertung in Bezug auf ein Lied und das Einbringen einer direktiv wirkenden Stellungnahme möglichst zurückzufahren und in der Rolle des Beobachters, Prozessbegleiters und Moderators zu bleiben.
Das künstlerische Ergebnis wird mit dieser Herangehensweise in einem ganzheitlichen Gestaltungsprozess erarbeitet, im Unterschied zu einer Korrektur einzelner Bereiche eines Stückes. In dieser Arbeit wird nicht nur die Eigenständigkeit der Interpreten unterstützt, sondern es gelingt oft auch, in einer gewissermaßen kulturell übergreifenden archetypischen Deutung der Textsymbolik, das Liedverständnis zu vertiefen, egal aus welchem kulturellen Hintergrund die jeweiligen Künstler stammen. In diesem Sinne wird die Liedinterpretation authentisch und individuell, was sie dann von einer eher nostalgisch und musealen Herangehensweise unterscheidet.
Vor einigen Wochen haben Sie ja auch einen Vortrag über diese von der tiefenpsychologischen Arbeit inspirierten Herangehensweise in der Liedinterpretation gehalten, beim 2018er Festival „Luft und Raum“ in Bonn?
Ja, ich bin sehr glücklich über die Möglichkeit, jetzt schon über mehrere Jahre das Wachsen des Kunstraums Zentrifuge in Bonn miterleben und mit gestalten zu können. Ausgehend von den Räumlichkeiten des ehemaligen Testgeländes für Schwerelosigkeit im All des Instituts für Luft- und Raumfahrt in Bonn hat sich dort ein Zentrum für Kulturschaffende entwickelt, welches ein wertvoller noch wachsender Kunstraum ist. So konnten Ingeborg Danz, Peter Stein und ich gemeinsam mit anderen Künstlern dort im vergangenen Mai ein abwechslungsreiches Programm anbieten mit Meisterkursen für Liedinterpretation und Kammermusik, verschiedenen Vorträgen über den tiefenpsychologischen Gehalt des europäischen Liedgutes aber auch über eher physikalisch inspirierte Themen der Kunst. Nicht zu vergessen der Origamiworkshop mit dem Geiger und Origami-Künstler Peter Stein…
…es ist also ein künstlerisch sehr abwechslungsreicher Rahmen dort?
Ja, und ich freue mich jetzt schon auf die fünfte Auflage des Festivals, das 2019 vom 4. bis zum 9. Juni stattfinden wird!
Worauf freuen Sie sich noch in den nächsten Monaten?
Zunächst freue ich mich über ein paar freie Tage in den Sommerferien. Dann geht es aber auch direkt weiter mit Meisterkursen für Liedinterpretation in Arosa und in Essen, die Ingeborg Danz und ich schon seit vielen Jahren regelmäßig geben. Anschließend kann ich mit Elena Marangou die CD in mehreren Konzerten im Rahmen des Liedsommers vorstellen.
Und dann freue ich mich, in der Saison 2018/19 die städtische Konzertreihe in Moers erstmals federführend zu gestalten. Es wird ein abwechslungsreiches Programm mit einem Schwerpunkt auf unterschiedlichen kammermusikalischen Quartetten geben, so wird es neben Streichquartetten auch Saxophon-, Klarinetten- und Gitarrenquartette geben. Zusätzlich werde ich vor einigen der zwölf Konzerte eine Konzerteinführung geben. Ich bin sehr gespannt auf das Gesprächskonzert mit Frau Prof. Nicola Jürgensen, der Soloklarinettistin des WDR Orchesters und auch auf den Workshop für Schüler mit dem Titel „Winterreise, darf ich da mit?“
Das klingt interessant!?
Warum sollte es nicht gelingen, jungen Menschen neben den täglichen, ja auch sehr gefühlsbetonten Playlists der Alltagsmusik den emotionalen Gehalt dieses Meilensteins des Kunstliedes nahezubringen? Es gibt so viele gute Ansätze in der Musikpädagogik. Ich denke, dass auf diese Weise das Lied nicht nur für die Liebhaber der etwas intellektualisierten Kunst, sondern auch für viele andere Menschen als authentischer Ausdruck von Gefühlswelten fruchtbar sein kann.
Herr Krampen, für Ihre Projekte wünschen wir Ihnen alles Gute und danken ganz herzlich für das Gespräch!