“Kurt Weill ist zur Zeit mein sozialer Kontakt”
April 2020
Das Interview vorlesen lassen:
Mit Simone Hirsch sprach Elena Sebening
Die Mezzosopranistin Simone Hirsch hat einen Liederabend gemeinsam mit Nare Karoyan (Klavier) und Ira Givol (Violoncello) konzipiert, der sich der Person und Geschichte Kurt Weills widmet. Im Liedwelt-Interview erzählt sie, wie sie selbst den Zugang zur klassischen Musik erst recht spät gefunden hat und warum sie gerade deswegen jüngeren Menschen das Lied näherbringen möchte.
„Kurt, Weill er mehr ist…“ so lautet der Titel über den “Studenten von Humperdinck und Busoni, der wie selbstverständlich zwischen Synagoge, Bierkeller, Ku’damm und Broadway lebte. Der das Berlin der 20er, das Paris der 30er und die USA der 40er mitprägte. Der Komponist von Youkali, dem Ort, in dem man glücklich und sorglos sein könnte, wenn er existieren würde.” So steht es im Programm für diesen besonderen Liederabend, der von Pianistin Nare Karoyan und der Mezzosopranistin Simone Hirsch konzipiert wurde. Gemeinsam mit dem Cellisten Ira Givol werden sie einen musikalischen Überblick über die schillernde Person Kurt Weill geben.
Im Spätsommer dieses Jahres soll das Programm erstmalig aufgeführt werden. Die Proben hätten eigentlich schon im Februar beginnen sollen. Aktuell spielt und singt jedoch noch jeder für sich. Simone Hirsch wohnt in Heilbronn, Nare Karoyan befindet sich in Köln und Ira Givol ist in Brüssel. “Logistisch wird es schon eine Herausforderung”, sagt die Sängerin. Zum Proben wolle man, wenn es wieder möglich ist, in Köln zusammenkommen. Mit Nare Karoyan ist sie seit ihrem Studium an der Hochschule für Musik Karlsruhe befreundet. “Wir kennen uns aus dem Besprechungszimmer für Liedgestaltung, dort haben wir unser Duo gegründet”, erzählt die 33-Jährige.
Die Idee für ein Kurt Weill-Programm stamm von Karoyan. Simone Hirsch war sofort begeistert: “Um zu zeigen, was Kurt Weill noch kann. Man kennt natürlich die Dreigroschenoper von ihm, aber dann hört es bei vielen schon auf. Und wir dachten uns: Wir nehmen Stücke aus jeder Phase und Facette seines Lebens um das einfach mal alles zu spiegeln.” Der erste Teil des Konzerts wird eher instrumental sein, Karoyan wird eines seiner Klavierstücke spielen und dann erklingt die fast halbstündige Cellosonate mit Givol am Cello. “Er ist mehr als nur der Vertoner von Bertolt Brecht”, betont Hirsch.
Der zweite Teil des Abends ist schließlich eher theatralisch und mit vielen Zitaten von und über Weill angereichert. “Er ist super vielschichtig, das möchten wir rüberbringen.” Auch seine Zeit im Exil wird thematisiert. Das Programm ist Teil des Kulturprogramms 2020 vom jüdischen Zentralrat. “Er musste nach Amerika gehen wegen des Krieges, dazu die Flucht nach Paris und trotzdem konnte er dort dann Fuß fassen”, beschreibt die Mezzosopranistin. Gemeinsam wollen sie wichtige Momente aus seiner Geschichte zeigen.
“Kurt Weill ist zur Zeit mein sozialer Kontakt” sagt Simone Hirsch und lacht. Drei bis vier Mal die Woche probt sie mehrere Stunden und liest sich weiter in seine Texte ein. “Ich arbeite im Zwei-Schicht-System, tagsüber habe ich die Kinder, dann bringe ich sie ins Bett und gehe von neun bis zwölf Uhr üben. Irgendwie ist es Wahnsinn, aber ich glaube schlafen würde mir nicht mehr bringen. Es entspannt ungemein etwas zu tun, was man gerne macht und auch irgendwie kann. Ohne Singen am Abend und ohne Musik wäre das alles viel trister”, findet sie. Die Aktualität seiner Werke würde sie ihn zahlreichen Stücken erkennen. So würde beispielsweise das Stück “How Can You Tell An American” thematisieren, wie die Menschen den Plan der Regierung verweigern. Mit Blick auf die jüngsten Demonstrationen in Amerika bezüglich der Corona-Krise würde dies “absolut passen.”
„Er greift den Ort auf, an dem er ist und spiegelt diesen Wert wieder.”
“Dieses Stück funktioniert einfach immer noch.” Weiter würde sich der von ihm thematisierte Exilgedanke leicht auf die aktuelle Situation beziehen lassen. Ein Stück heißt “There’ll Be Life, Love and Laughter”. Hirsch versteht es so: “Wenn das alles vorbei ist, wird das Leben wieder beginnen und wir können uns wieder in die Arme schließen.” Außerdem ist die Sängerin sich sicher: Von Kurt Weill kann man einiges lernen. “Da wo ich bin, da lebe ich und da schaue ich, wie ich dort reinpasse ohne mich zu verbiegen. In Paris macht er französische Chansons, diese sind trotzdem in seinem Kompositionsstil, aber gleichermaßen mit einem Gefühl für dieses Land”, schwärmt sie. “Er greift den Ort auf, an dem er ist und spiegelt diesen Wert wieder.” Damit das Publikum diesem lyrischen und musikalischen Bogen folgen kann, wolle man die Stücke so aufführen, dass die Texte verstanden werden können. Zusätzlich soll einiges verbildlicht werden im Sinne einer szenisch angehauchten Aufführung. Mit den Zitaten von und über Weill werden die Titel dann jeweils eingeführt.
Der 33-Jährigen liegt es besonders am Herzen jüngere Menschen für klassische Musik zu begeistern. Sie selbst wuchs nicht mit dieser Art von Musik auf und kann nachvollziehen, dass man erst einen gewissen Zugang finden muss. Mit 16 Jahren fing sie an in Musicals zu singen, in Theaterstücken mitzuspielen. Sie hatte mit klassischer Musik wenig Berührungspunkte bis ihr Gesangslehrer ihr eine Arie Antiche vorlegte. “Zuerst war es super schwierig. Es war italienisch und dann musste man so krass nach den Noten singen”, erinnert sie sich. Aber schnell wurde ihr klar: “Diese Musik ist irgendwie die größere Herausforderung ist und die größere Kunst.”
“Kurt war mein Übergang zur klassischen Musik”
“Je mehr ich da reingehört habe, desto weniger spießig wurde es und desto mehr meins.” Ein Jahr vor der Aufnahmeprüfung beschloss sie schließlich Gesang zu studieren und lernte dafür fünf Stücke, darunter auch eines von Kurt Weill. “Kurt war mein Übergang zur klassischen Musik”, sagt Hirsch und es klingt, als hätte sie bereits mit ihm bei eine Tasse Tee gemütlich zusammengesessen. Die Nähe zu seiner Musik und das Studium seiner Person hat eine sichtliche Nähe zu dem Komponisten hergestellt.
“Man muss den Leuten zeigen, wie alltagstauglich Oper und Lied sein können und ich weiß, wie der Zugang zur klassischen Musik ablaufen kann, wenn er nicht bereits in der Kindheit passiert ist.” So gibt es in ihren Augen immer eine Geschichte. “Die Stücke sind von jemandem geschrieben, der ganz innig ist in seiner Situation und dann kommt noch jemand dazu und vertont es. Ich ziehe da selbst total viel heraus.”
Als Künstlerin sieht sie es als ihre Aufgabe an, sich immer wieder selbst zu ergründen: “Ich habe mir mit diesem Beruf die Herausforderung gestellt, an mir selbst zu wachsen und durch die Musik stets mein Innerstes zu beleuchten.” Ein bestimmtes Gefühl könne man erst dann projizieren, wenn man es selbst gefühlt hat. Anders sei es nicht möglich, dieses auch anderen Menschen durch einen selbst zu erfahren.
Frau Hirsch, wir danken ganz herzlich für das Gespräch!