„Lenz und Liebeswonnen enden – kostet aus die frühe Zeit“
Grundsätzlich ist die Nähe zur tatsächlichen Volksmusik und zum Volkslied wie zu Sagen und Legenden aus der „Heimat“ eine der wichtigsten künstlerischen Inspirationsquellen für Komponisten. Immer wieder schauen bzw. hören Komponisten daher dem Volk „aufs Maul“, woraufhin ein künstlerischer Verarbeitungs- und Auseinandersetzungsprozess einsetzt. Dass auch Beethoven hier ganz tief geschürft hat, zurück zu den Ursprüngen ging und so seine künstlerische Sprache wahrhaft und so berührend werden ließ, ist sicherlich ein wichtiger Aspekt in Bezug auf sein künstlerisches Gesamtschaffen.
Am 1. Maifeiertag gab es im Bonner Schumannhaus die Gelegenheit, an einer kleinen Europareise teilzunehmen und diesem engen Bezug zur Quelle nachzulauschen: Insgesamt neun junge Musikerinnen und Musiker gestalteten das Auftaktkonzert von Beethoven@home. Die jungen Künstlerinnen und Künstler hatten gemeinsam mit der Ludwig-van-Beethoven-Musikschule Bonn (Eva Wolsing und Beatrix Ebersberg) einen abwechslungsreichen und unterhaltsamen Vormittag zu bieten. Insgesamt erklangen 23 Lieder in acht thematisch und geographisch sortierten Abschnitten, die von fachkundigen wie unterhaltsamen Moderationen und kurzen Gesprächen über die Hintergründe der Lieder verbunden wurden.
Das Volkslied als schöpferische Inspirationsquelle
Die Nähe des Kunstliedes zum Volkslied hat deren Aufführung im häuslichen Rahmen so populär gemacht, dass Beethoven über 170 Bearbeitungen schrieb – aber die Melodien und Geschichten scheinen ihn auch persönlich fasziniert zu haben: Denn er schrieb weiter an Bearbeitungen auch ohne konkreten Auftrag von Verlegerseite und hat sich sicherlich hierzu entschlossen, weil er die künstlerische Inspirationsquelle auch als grundlegend für sein Schaffen empfand. Außerdem fand Beethoven hier die Möglichkeit, kompositorisch so Manches auszuprobieren, das später in „klassischen Werken“ wieder auftaucht.
Die Madeln, die führen uns an der Nase her
Natürlich ging es in den Liedern vor allem um Wein, Weib und Gesang – kleine Geschichten, Szenen und Bilder, mit dem tapferen Ritter, mit klugen Madels oft deftig-schlüpfrig oder auch derb. Die Sänger wurden dabei kontinuierlich von Cello und Klavier begleitet, was klanglich eine schöne Bereicherung war, zumal Johannes Zipfel am Cello nicht nur verlässlicher Partner der Sänger und Pianisten war, sondern ganz maßgeblich an der feinen Gestaltung der Lieder Teil hatte. Die mit dem Sänger korrespondierende Violine spielte zunächst Lotta Nikolayczik.
Die Erzählung des Sängers wurde verstärkt, reflektiert: So mancher Scherz ausgemalt, das Geschehen kommentiert. Auch eine Antwort auf die zahlreichen augenzwinkernden Verführungsversuche gab es. Im zweiten Teil übernahm die Violine noch eigenständigere Rollen: Casper Hesprich übernahm diesen Part im zweiten Teil – klug ausgesucht war die Rolle der Violine hier, setzte der ersten Konzerthälfte noch eins drauf, da der Part so überraschend vielfältiger angelegt war als im ersten Teil. Alles klang plötzlich neu: Bordunklänge, virtuose Girlanden und Sprünge oder längere Vor- und Nachspiele zeigten, welche kammermusikalische Vielfalt im Volkslied-Ausdruck steckt.
Wer solche Buama afipackt
Zunächst gab es „alpine“ Stilbilder aus der Schweiz und dem Tirol. In mehreren Liedern wie dem Lied „Wegen meiner bleib d’Fräula“ wurde die Verbindung zum Volksstück unmittelbar: Diese Bearbeitung hat auch bei Wenzel Müller als Arie des Hausmeisters in das „Das NeuSonntagskind“ seinen Platz, kein Einzelfall – finden sich auch bei Nestroy und Haibels in deren Bühnenwerken Volksliedvertonungen, die als Volksliedbearbeitung in den heimischen Salon transportiert wurden, damit die Fan-Gemeinde sie hier nachempfinden konnte, indem sie sie selbst im häuslichen Rahmen erneut musizierte.
Das lautmalerische Lokalkolorit aus Tirol gestaltete die Sopranistin Katharina Diegritz beispielsweise im Lied „Wann i in der Früh aufsteh‘“ mit bezaubernder, augenzwinkernder Schauspielerei. So entstand aus dem schwungvoll mit Bravour gesungenen virtuosen Lied eine bildhaft angedeutete schmissige Szenerie. Denn viele Lieder sind gespickt mit einer Anspielung nach der nächsten: Kleine lustige Schweinereien fanden ihr Bild in der einfachen Natur und der Arbeit auf dem Lande. So wurde aus dem Almauftrieb ein Vorwand, mit der Schwägerin gemeinsam „die Kühe zu hüten“ – ein mit „naiven“ Anspielungen gespicktes Lied darüber, was der Schwager und die Schwägerin so alles auf der Alm zu tun haben. Der Refrain „ei, ai, eia“ ließ zu zahlreichen persönlichen Fortspinnungen im Kopf des Besuchers Platz. Überhaupt ging es im ersten Teil vor allem um die Liebe, um emanzipierte Madel und alte Schachteln, den depperten Tyroler Bua und den talkerter Jodel und entsprechend aufgelockert war die Stimmung im Saal.
Lasst im Wein uns den Gram ertränken!
Ganz neue Töne erklangen im mittleren Programmteil mit „Oj, oj upilem sie w karczmie“. Die Bordunklänge, das Drehen der Leier stellen die Instrumente prinzipiell nicht nur klanglich mehr in den Vordergrund – insbesondere, da Beethoven hier eine holprige deutsche Übersetzung vertont hat.
Umso erstaunlicher, dass auch Lieder, bei denen Beethoven zum Teil nur Melodien und keine Originaltexte zur Verfügung standen, passgenaue Originalität und Stimmigkeit auch in der Wahl der Inhalte haben. Die Holprigkeit, die falsche Betonungen und sich gegen die Melodie sperrende Worte teils skurril anhäufte, überwand der Bariton Benjamin Hewat-Craw galant. Wie bereits in den beiden Liedern, die der Bariton zu Anfang der Matinée sang, gestaltete er gemeinsam mit der Mezzosopranistin auch das „Kosakenlied“ in feinster Manier.
„Was ist authentisch?“
Hier erklang – eben wie erwartet – elegisches Moll: Ein längeres Vor- wie Nachspiel imaginiert ein romantisiertes Bild am Ufer der Wolga mit pizzicato-Tupfern im Cello, unmittelbar sitzt man mit den beiden Ausführenden in der Runde … und lauscht wiederum deren Gespräch über Sehnsucht und die Liebe. Die erzählende Geige (Casper Hesprich) malt die das Gespräch begleitenden Gedanken hier anmutig wie elegisch aus. Erstaunlich wie aktuell manches Parlando-Moll klang, dem die Mezzosopranistin Lea Müller zuvor in zwei russischen Volksliedern folgte – an unserem Klischée was die Erwartungen an das „Lokalkolorit“ betrifft, scheint sich jedenfalls in den letzten zweihundert Jahren nicht so viel geändert zu haben, sonst wären weder Künstler noch Publikum so nah und begeistert am Ball geblieben.
Auch die zahlreichen Duette, die sich in der Matinée verstreuten, trugen klanglich dazu bei, mit ihren verschiedenen Varianten den Morgen zu bereichern. Es kam zu immer neuen Stimm-Kombinationen und natürlich bot jedes Volkslied auch eine kleine Szenerie, die sich belebte durch die „Gespräche“ der Protagonisten.
Traumhafte Welt
Bevor es mit Liedern aus Spanien, Italien und Ungarn weniger elegisch wurde, tat sich im schwedischen Wiegenlied „Lilla Carl“ vor allem in den Doppelgriffen und kommentierenden Sprüngen zum Bordun eine traumhafte Welt auf: Schön gestaltete Lea Müller diesen ruhigen Fluss.
Konsequent entführte Eike Kutsche mit der Cellistin Sue Schlotte nun in die Obertonwelt. Hier fand die Matinée ihren künstlerischen Ruhe- und Angelpunkt, begab sich für einen kostbaren Moment auf die „andere Seite“, hielt inne. Die authentische Spiritualität versetzte die Lauschenden so in eine Klanginsel, die gerade deshalb in der Überhöhung der Volksmusik und dem alltäglichen Singen der Menschen sehr nahe ist. Daher erfuhr die anwesende Gemeinschaft hier klanglich jenes Eins-Sein aller Menschen – eine wichtige Verbindung allen gemeinschaftlichen Mensch-Seins und somit dessen, was das Volkslied unterschwellig vermittelt: Den Grund, warum uns auch die Beethoven’schen Volkslieder nach zweihundert Jahren noch so tief berühren, konnte man nun verstehen.
Una paloma blanca
Zur südeuropäischen Atmosphäre passend hatte auch der Tenor Nico Heinrich hörbar und sichtlich Spaß am Gestalten des spanischen Piraten-Tiranilla oder dem doppeldeutigen, kurzen russischen Lied über die Mädchen, die ganz viele „Beeren“ im Wald finden, in der Menge dargestellt von einer geschäftig plappernden Violine, deren „Wortschwall“ das kurze Lied eigentlich sprengt. Fein und schlank gestaltet, gelang ihm im ungarischen Weinlied „Edes Kinos emlekezet“ die schwungvolle Wende in die Zielgerade der Matinée, die die neun Künstlerinnen und Künstler mit einer schwungvollen Zugabe würzten.
Vertiefen konnte der Zuhörer sein Wissen bei den fachkundigen Gesprächsteilnehmern von Dr. Solveig Palm, die auch nach dem Konzert zu anregenden Gesprächen zur Verfügung standen.
Text: Sabine Krasemann
Photo © KLINK ART, Joachim Müller-Klink
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