
Interview mit Lucas Singer
“Wenn jemand die Loewe-Balladen am Leben halten kann, dann sind es vielleicht wir Bässe.”
April 2019
Mit Lucas Singer sprach Christiane Nitsche
Herr Singer, Sie haben zuletzt im April 2019 an der Oper Köln bei Walter Braunfels’ Heiliger Johanna mitgewirkt, die gleich auf mehreren Ebenen eine Parabel über Widerstand und Selbstzweifel ist. Wie gelingt danach der Umstieg in die Romantik der Liedwelt?
Für uns Opernsänger ist es ja völlig normal, zwischen den Epochen und Stilen zu springen. Das gehört zum Alltag dazu. Es ist täglich Brot, dass man flexibel bleibt. An der Oper Köln spielen wir zwar momentan durch das Interim bedingt ensuite, aber an den meisten deutschen Stadt- oder Staatstheatern kann es durchaus passieren, dass man an einem Abend eine Händel-Oper singt, am nächsten Tag die Zauberflöte und am Tag drauf vielleicht Wagner. Da muss man einen Weg für sich finden. Die Stile muss man sich aneignen und danach auch wach halten. Natürlich gibt es Spezialisten, die sich beispielsweise verstärkt auf das barocke Repertoire verlegen, oder auf die Romantik. Aber das kann man sich als Ensemble-Mitglied eines solchen Theaters nicht immer leisten. Allerdings ist das auch etwas, das großen Spaß macht. Ich genieße es sehr, einen Abend dies zu machen und den nächsten etwas ganz unterschiedliches.
Es ist also eher Freude als Herausforderung?
Schon eine Kombination aus beidem. Ich singe ja auch viele Konzerte im Oratorienfach und ähnlichem, und das ist natürlich wieder etwas ganz anderes. Es kann sein, dass sonntags morgens eine Bach-Kantate ansteht und abends dann Parsifal. Aber das eine bedingt ja zum Teil auch das andere. Ich genieße es jedenfalls, das Breitgefächerte machen zu können. Das mag nicht jeder, das weiß ich. Ich schon.
Erklärt sich so auch die Programmauswahl für die Loewe-Matinée?
Die Loewe-Balladen sind im Grunde kleine Mini-Opern. Denen schadet es nicht, wenn man da mit etwas opernhaftem Gestus reingeht. Bei Schubert ist es anders, aber ich würde sagen, das lässt sich gut vereinbaren.
Gibt es denn bei aller Liebe zum großen Repertoire so etwas wie Favoriten?
Die deutsche Romantik und Spätromantik – das ist ein Stil, den ich sehr mag. Strauß und Wagner, das ist fantastische Musik. Aber auch in der Symphonik: Bruckner und Mahler. Für mich ist das Musik zum Reinlegen und Eintauchen. In einen Wagner-Ring kann man sich richtig versenken. Das liegt mir sehr. Aber ich mag auch die italienische Romantik: Verdi, Puccini. Das singe ich sehr gerne. Mozart-Opern sind auch fantastisch. Als ich noch Klavier studiert habe, habe ich auch Debussy sehr gerne gespielt. Brahms, Bach… Ich liebe die Bach-Passionen. Je länger ich darüber nachdenke: Es fällt mir schwer, mich festzulegen.
Ich liebe Schubert. Leider gibt’s von Schubert nicht viel für die Oper. Oder Gott-sei-Dank – ich weiß es nicht (lacht). Aber Schubert instrumental, das ist fantastisch; die Klaviermusik finde ich unglaublich toll. Und die Lieder sowieso.
Was ist es, was Sie sich versenken lässt?
Wenn ich an die Oper denke, ist es die Üppigkeit, das Überbordende, was vielleicht manchmal auch ein bisschen kitschig sein mag. Was mir bei Verdi und Wagner in den Sinn kommt, sind diese riesig instrumentierten Szenen und die langen musikalischen Bögen. Das sind wirklich Welten, in die man eintauchen kann. Auf der anderen Seite ist es auch das Gefühlsbetonte, wobei das interessanterweise bei den Liedern, die ich für unsere Matinée von Schubert ausgewählt habe, nicht so im Vordergrund steht. Bei Loewe ist es eher das Balladenhafte, das vielleicht auch nicht so sehr auf eine gefühlsmäßige Innenwelt zielt.
Was charakterisiert denn die Stücke, die bei der Loewe-Schubert-Matinée auf dem Programm stehen? Ist es das Drama?
Was bei beiden, also Loewe und Schubert, in unserem Programm Thema ist, sind die „Grenzen der Menschheit“. So auch der Titel eines der Schubert-Lieder und des Programms vom 9.6.2019. Es geht um die Zwischenwelt, die Schnittstelle zwischen Diesseits und Jenseits, da wo die irdische Welt immer wieder verhandelt wird.
Bei Loewe ist es oft ein bisschen wie beim Tatort. Es hat etwas vom Krimi. Ewig lang gibt es diese ungeklärte Situation, der Krimi spitzt sich zu und dann kommt am Ende in den letzten zwei Takten die Auflösung oder einer ist plötzlich tot. Die Romantik hat eben auch dieses Erzählerische. Das finde ich sehr spannend.
Steht das Programm schon? Können Sie schon verraten, welche Lieder dabei sein werden?
„Grenzen der Menschheit“ auf jeden Fall. Schuberts „Sehnsucht“, und eines seiner „Abendrot“-Lieder. Wir überlegen außerdem, die „Fahrt zum Hades“ reinzunehmen. Ein sehr lustig-makaberes Lied ist das „Totengräberlied“: quasi eine Dankes-Ode des Totengräbers an seinen Spaten, der ihm den Lebensunterhalt ermöglicht. Ich weiß aber noch nicht, ob es reinkommt. Dann gibt es „Auf der Donau“, wo der Schiffer mit seinen Gedanken in eine Zwischenwelt abdriftet. Beim Erlkönig sind wir noch nicht hundertprozentig sicher – wahrscheinlich wird es nicht der Schubert, sondern der Loewe. Der würde natürlich super passen. Aber es besteht immer die Gefahr, dass man nur die Bekannten nimmt. Wahrscheinlich machen wir auch den „Nöck“.
Diese Loewe-Balladen, das ist ein Universum. Da gibt es soviel zu entdecken. Es gibt sehr viel Material. Ich fürchte, nicht alles, was ich gerne machen möchte, passt rein. Ich habe aber ein paar Lieder ganz neu für mich entdeckt. „Tod und Tödin“, zum Beispiel, wo es darum geht, wie der Tod und seine Frau ihren Alltag gestalten. Das ist eine ganz süße Miniatur, ein super Stück. Leider wird Loewe nicht mehr so viel gespielt. Darum dachte ich mir: Zum 150. Todestag, da kann man noch mal gezielt viel Loewe machen.
Haben Sie eine Idee, warum Balladen generell weniger populär geworden sind?
Ich glaube, das liegt daran, dass da so wenig Raum für Interpretation auf verschiedenen textlichen Ebenen ist, weil die Ballade im Grunde einfach eine Erzählung ist. Das, was gesagt werden soll, wird gesagt. Und die Gefahr ist, dass man das vielleicht manchmal Kitschige darin, das nicht so unglaublich Doppelbödige, als einfach abstuft. Aber ich habe das Gefühl, dass das, wenn man sie ernst nimmt, durchaus unterhaltend sein kann. Es gibt schon etwas nachzudenken, und auch mitunter den Fingerzeig. Vielleicht ist die Gefahr: dass es auf den ersten Blick zu simpel wirkt und zu kitschig. Loewe kann durchaus auch etwas hausbacken wirken. Vielleicht sind wir Bässe auch etwas einfach gestrickt (lacht). Aber ich finde, gerade für die Bässe gibt es da sehr dankbare Sachen. Ich habe ja viel mit Kurt Moll gearbeitet, der die Loewe-Balladen sehr geliebt hat. Und wenn jemand die Loewe-Balladen am Leben halten kann, dann sind es vielleicht traditionell wir Bässe.
Sie sprachen von der technischen Ebene, über die Sie sich die Breite an Repertoire erhalten. Gibt es daneben noch andere Wege für Sie, sich auf diese Welt einzustimmen?
Wenn ich von der Oper ausgehe, sind es die Rollen, die sich anbieten; dass man sich da reingibt. Technisch ist es wie bei einem Instrumentalisten auch. Ein Geiger muss seinen Bogen bei einem Barockstück anders führen als bei einem romantischen. Das ist bei uns ähnlich. Je weiter es in die Moderne geht, wird es mehr Sprechgesang, zum Beispiel. Auf der inhaltlichen Ebene geht es über die Rollen und natürlich über den Text. Das ist der Vorteil eines Sängers, dass er den Text hat, der Vorgaben macht. Da ist das Fahrwasser schon in eine Richtung geklärt.
Das bringt mich zu einer anderen wichtigen Frage: Was hat Sie denn bewogen, vom Klavier zum Gesang zu wechseln?
Gute Frage. Weniger Üben! (lacht) Aber im Ernst: Ich komme aus einer Sängerfamilie und habe mich zuerst auf ein anderes Feld verlegt – wohl, weil das zuhause schon belegt war. Ich habe lange nicht gesungen. Aber irgendwann hat es mich doch wieder eingeholt. Im Klavierstudium hatte ich Pflichtfach Gesang, musste also singen. Darüber bin ich langsam wieder dazu gekommen. Es hat mir dann immer mehr Spaß gemacht und irgendwann hat’s mich dann doch gepackt. Und ich dachte mir: Probier’s doch einfach aus. Dann habe ich die Aufnahmeprüfung in Köln bestanden, und es ist immer so weiter gegangen. Parallel habe ich noch Kunst- und Kulturmanagement studiert, weil ich eigentlich gar nicht so sehr in die ausübende Richtung gehen wollte.
Aber das Singen hat schleichend immer mehr Raum eingenommen. Wenn man sich dann doch intensiv mit der Sache auseinandersetzt, packt es einen. Als ich den Studienplatz bekam, dachte ich: Jetzt versuchst du es auch. Zuerst habe ich dann noch nebenbei Klavier unterrichtet, aber irgendwann war klar: Das Singen war raumgreifend geworden. Als ich dann ins Opernstudio Köln kam, war klar: Ich muss mich jetzt auf diese eine Sache konzentrieren.
Nichtsdestotrotz spiele ich natürlich viel Klavier, um meine Stücke einzustudieren oder um Stücke kennenzulernen. Das ist mein Vorteil: dass ich mir vieles selbst aneignen kann, wofür ich sonst einen Repetitor bräuchte. Insofern ist das Klavier schon immer noch dabei, aber ich gehe nicht mehr auf die Bühne damit. Und da komme ich zu dem, was ich zuerst sagte: Klavier braucht Minimum vier bis fünf Stunden Üben am Tag. Die habe ich einfach nicht mehr zur Verfügung.
Sie haben ja dafür nun mit Elnara Ismailova eine versierte und viel gepriesene Liedbegleiterin an ihrer Seite.
Genau. Wir arbeiten schon seit Jahren zusammen. Sie war meine Repetitorin in der Hochschule und auch in verschiedenen Meisterkursen. Wir kannten uns schon vor meinem Studium und haben uns dann an der Hochschule wieder getroffen, in Essen und in Köln. In letzter Zeit kommen wir leider nicht mehr so viel dazu, etwas zusammen zu machen, weil die Oper doch sehr raumgreifend ist und viel Zeit in Anspruch nimmt. Umso mehr freut es mich, dass wir jetzt dieses schöne Programm miteinander musizieren werden.
Wie viel Zeit widmen Sie dem Singen täglich?
Das ist unterschiedlich. Wenn ich morgens Probe an der Oper habe und abends eine weitere Probe oder Vorstellung, sehe ich zu, dass ich dazwischen Ruhe habe. Je mehr Oper ich singe, umso mehr merke ich, dass die Stimme zwischendurch Erholung braucht. An meinen freien Tagen versuche ich aber schon, mich Minimum zwei bis drei Stunden mit der Sache zu beschäftigen. Das kann Notenlesen sein, Technikübungen, Textlernen; das ist wie Fingerübungen am Klavier. Aber natürlich gibt es auch Tage, wo ich mich vier bis fünf Stunden einschließe, um meine Sachen zu lernen. Dann singe ich aber nicht die ganze Zeit.
Sie sind jetzt 36 Jahre alt. Wie sehen Sie Ihre Zukunft – was kann und soll noch kommen?
Ich genieße es momentan sehr, in Köln meinen Hauptsitz zu haben und fest am Haus zu sein. Die Perspektive ist aber sicher, dass man mehr und mehr freischaffend macht. Das ist die klassische Laufbahn. Aber ich glaube, ein Stammhaus würde ich gerne behalten. Die Verbundenheit zu einem Ort, die gibt mir viel. Ich glaube, ich brauche immer zumindest so etwas wie eine Teilbasis. Und ich genieße es sehr, dass das momentan die Oper Köln ist, in dieser schönen Stadt.
Zum Schluss die vielleicht wichtigste aller Fragen: Was bedeutet es Ihnen, ein Sänger zu sein?
Das Klischee – aber auch die Wahrheit – ist, dass man sein eigenes Instrument ist. Dass es eine andere Stufe von Erleben ist, wenn man selbst den Klang produziert, als wenn es über ein Medium wie ein Instrument passiert. In Kombination mit dem schauspielerischen Aspekt, also in eine Rolle zu schlüpfen – das ist noch mal eine ganz andere Ebene. Sie haben immer diese drei Faktoren: Sie müssen Künstler, Instrument und Rolle sein. Diese Kombination macht es kompliziert, aber auch total spannend. Und sehr erfüllend.