
„Gesang ist Singen des Herzens“
April 2018
Mit Martin Lindsay und Elnara Ismailova sprach Verena Düren
Herr Lindsay, in einem Statement zur Gattung Lied haben Sie mal gesagt, es gäbe für Sie keine schönere Art des Musizierens als das Lied – was fasziniert Sie so an der Gattung?
Mir gefällt das Lied als Gattung besonders, weil es eine kleine Form ist. Sie ermöglicht einen intimen Kontakt zum Publikum, was für mich einer der wichtigsten Aspekte ist. Die kleine und eher kurze Form macht es möglich, an einem Abend eine große Vielfalt an Ausdruck entstehen zu lassen, was bei anderen Gattungen schwieriger ist. Unter Umständen gibt mir das Lied die Möglichkeit, eine größere Palette sowohl musikalisch als auch stimmlich zu zeigen.
Sie sind gebürtiger Engländer, haben dort und in Kanada studiert. Welchen Stellenwert hat dort das Lied?
Das muss man etwas differenzieren nach Repertoire und der Bedeutung des Lieds in der Kulturszene. Zu meiner Studienzeit war das Lied ein ausgesprochen wichtiger Aspekt im Studium. Wir hatten als Sänger Pflichtveranstaltungen im Liedgesang im deutschen, französischen, englischen und italienischen Lied. Unter den Sängern nimmt das Lied bis heute eine sehr wichtige Rolle ein.
Zu meiner Studienzeit war der Einfluss von Gerald Moore in der britischen Liedszene immer noch sehr stark zu spüren. Auf dieses Fundament konnte beispielsweise die Arbeit von Graham Johnson und seinem Songmakers Almanac gedeihen. Schaut man sich jedoch das Konzertleben an, so sieht man in England eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland auch, dass Liederabende eher weniger werden und ein zunehmend spezialisiertes Publikum ansprechen. Umso wichtiger ist es, dass es Initiativen wie Liedwelt Rheinland und Im Zentrum LIED gibt, die sich für das Lied einsetzen.
Gerade Lehrende im Bereich des Liedgesangs betonen immer wieder, wie fundamental wichtig es für die Liedinterpretation sei, ein gutes Textverständnis zu haben – mit allem, was ein Text an Interpretationsmöglichkeiten hergibt. Verbunden damit steht der Lehrende oft vor dem Problem, dass durch die international geprägten Hochschulen oft Sprachkenntnisse bei den Studierenden fehlen, um den Text verstehen zu können. Haben Sie den Eindruck, dass Sie einen anderen Zugang zum Lied haben, weil Sie kein Muttersprachler sind?
Ich weiß, was Sie meinen, habe diese Problematik aber für mich persönlich nie als solche erlebt. Die Ausbildung in England war ausgesprochen gründlich, so dass ich schon während des Studiums neben anderen Fremdsprachen auch Deutsch gelernt habe. Aus dieser Zeit bin ich beispielsweise auch daran gewöhnt, sehr auf die Aussprache zu achten. Auch bei den heutigen Studierenden sehe ich das Problem nicht beim bloßen Aneignen der Sprache, sondern vielmehr darin, dass heutzutage oft der Bezug zu den Texten fehlt. An der Stelle sehe ich eher die Problematik und zwar eine, die genauso deutsche Muttersprachler betrifft. Ein Interesse für Sprache und ihren Klang und auch ein Gefühl dafür ist in der Regel bei Sängern vorhanden.
Sie sind ja viel im Bereich der Neuen Musik tätig und haben zahlreiche Uraufführungen gesungen. Wie sehen Sie die Zukunft der Gattung Lied auf kompositorischer Ebene?
Dass die Gattung Lied durch neue Kompositionen neue Impulse und Energie schafft, ist ein sehr wichtiger Aspekt in der Entwicklung des Genres. Soweit ich das beobachte und beurteilen kann, ist das Lied in der zeitgenössischen Musik recht stark vertreten. Auch die Liedabteilung an der Kölner Hochschule unter der Leitung von Ulrich Eisenlohr und Stefan Irmer ist in dieser Hinsicht sehr aktiv und einfallsreich. Ich denke, allen ist klar, wie wichtig es ist, dass diese Gattung lebendig bleibt und im Studium wie im Konzertleben eingebunden bleibt.
Frau Ismailova, nun zu Ihnen: Sie sind sowohl als Solo-Pianistin als auch als Liedpianistin sehr aktiv. Was hat Sie zum Lied geführt?
Bei mir lief eigentlich von der Ausbildung her beides parallel ab, also Klavier solo und auch Liedbegleitung. Und ich habe von Anfang an beide Fächer parallel studiert. In der damaligen Sowjetunion hatte die Ausbildung eine umfassende große Komplexität, so dass man im Studium sowohl als Solopianistin, Lied – und Kammermusikpartnerin wie auch als Pädagogin ausgebildet wurde.
Im Fach Lied lag der Schwerpunkt zwar zum größten Teil in dem Gebiet des russischen Kunstliedes. Aber die bedeutenden Liederzyklen von Schubert, Schumann oder Brahms wurden auch studiert. Später konnte ich in Deutschland ebenso beide Konzertexamen abschließen: Solo und Liedbegleitung. Eine Zeit, die enorme Bereicherung für mich war.
Bis heute handhaben Sie Ihre Solokarriere und ihre Tätigkeit als Liedpianistin gleichwertig und unterrichten auch beides. Was fasziniert Sie als Pianistin an der Gattung Lied?
Mich hat der Gesang als ganz fundamentales Ausdrucksmittel des Menschen immer schon fasziniert. Jeder Musiker muss innerlich singen, seine Seele muss singen können, sonst kann man nicht musizieren. Das gilt in meinen Augen ebenso für Instrumentalisten wie auch für Sänger. Da ich selber innerlich singe, liegt es natürlich völlig auf der Hand und ist natürlich, meinen Part mit einem Sänger zu kombinieren.
Was macht nach Ihrer Erfahrung einen guten Liedpianisten aus?
Da wäre zuerst das gerade beschriebene Singen des Herzens. Dazu kommt die Kunst des gemeinsamen Atmens mit dem Sänger. Ein Liedpianist muss aber natürlich auch ein ganz massives Verständnis für den literarischen Text haben, sprachlich und auch stilistisch gesehen. Durch die Kombination dieser Eigenschaften kann man eine Einheit mit dem Sänger bilden, was wiederum nur dann möglich ist, wenn man pianistisch absolut versiert, technisch völlig sicher und frei ist; denn nur dann kann man für beide Musikpartien ganz da sein.
Die Aufgabe des Liedpianisten liegt darin, den Gesang zu umhüllen und einzubetten. Aber auch die Klavierpartie sehr vieldimensional im Klang und Dynamik, manchmal auch sehr schlicht ergänzend zu gestalten. So ist es möglich die Gestaltung eines Liedes und die Idee des Komponisten und des Dichters im Duo umzusetzen. Bei einem guten Liedduo hängt fünfzig Prozent des Erfolges vom Pianisten ab.
Das ist ein sehr gutes Stichwort: Wie lange arbeiten Sie beide schon als festes Liedduo zusammen?
Wir kennen uns schon sehr lange, aber das kommende Konzert am 18. April ist ‚erst‘ unser viertes gemeinsames Projekt, wenn man pädagogische Projekte mitberücksichtigt. Da wir ja beide auch in Köln unterrichten, arbeiten auch unsere Studierenden zusammen, was für sie in der Regel sehr spannend ist durch die Kombination der beiden Schwerpunkte englisches und russisches Kunstlied. Wenn wir gemeinsam ein Programm oder auch nur ein Lied erarbeiten sind wir konzeptionell immer sehr umfassend.
Wie entsteht denn ein neues Programm?
Stimmung und Repertoire gestalten wir natürlich in jedem Liedprogramm möglichst abwechslungsreich. Für das Publikum soll Spannung entstehen, die Zuhörer sollen schon mitgerissen und auch gefordert werden. Bei allem Anspruch aber muss der Abend jedoch an erster Stelle ein Ohrenschmaus bleiben. (Elnara)
Inzwischen werden sehr viele Programme mit einem bestimmten Konzept, einem roten Faden gestaltet, was für mich persönlich nicht unbedingt der Fall sein muss. Ich singe auch sehr gerne „gemischte“ Programme, was in Großbritannien häufiger zu finden ist als hier. (Martin)
Manchmal ergibt sich das Repertoire unserer Programme auch aus unseren jeweiligen Schwerpunkten wie bei unserem pädagogischen Projekt an der Hochschule, das aus der Verbindung von russischem und englischem Lied entstand – also ganz persönlich aus unseren Viten bereichert wurde. (Elnara)
Am 18. April 2018 sind Sie beide gemeinsam in einem Shakespeare-Programm bei Im Zentrum LIED zu hören. Was erwartet uns an diesem Abend?
Dieses Programm wurde von dem Liedprogrammkurator Fabian Hemmelmann genial gestaltet und ausgesucht. Es ist ein sehr vielseitiges und auch anspruchsvolles Programm, das sich in verschiedene Liedgruppen aufteilt, angefangen bei Chausson über Tippett bis hin zu Finzi. Das Programm schlägt sprachlich, stilistisch und auch historisch einen großen Bogen.
Spannend sind vor allem die Übergänge zwischen den verschiedenen Liedern, denn teilweise liegen knapp hundert Jahre zwischen der jeweiligen Entstehung. Die Texte beziehen sich zwar alle auf Shakespeare, aber rein musikalisch reicht der Abend vom 19. Jahrhundert bis ins Heute.
Wir kamen eben auf eine gleichwertige Zusammenarbeit zu sprechen, auf die Einheit von Sänger und Pianistin, die idealerweise vorhanden sein sollte. Wie stelle ich mir eine Ihre „gleichberechtigte Zusammenarbeit“ bei den Proben vor?
Für mich als Sänger ist natürlich erst einmal wichtig, dass die rudimentären technischen Dinge funktionieren. Das fängt damit an, dass so etwas wie das gemeinsame Atmen mit dem Liedpianisten oder auch die verschiedenen Tempi funktionieren. Der Shakespeare-Abend ist ausgesprochen anspruchsvoll: es sind 28 Lieder der verschiedensten Stilrichtungen, in verschiedenen Sprachen und auch technisch sehr anspruchsvoll. (Martin)
Bei diesem Programm liegt die Textarbeit, das Textempfinden, vor allem in Martins Hand. Stellen, in denen der Klavierpart eine gestalterische Rolle hat, besprechen wir gemeinsam. Durch die Vielfalt und große Spannbreite des Programms ist diese dynamisch-künstlerische Arbeit besonders wichtig. So entsteht dann nach und nach in den Proben ein Spannungsbogen für den Abend.
Das ist der Entwicklungsprozess, der sich in gemeinsamen Proben ergibt, nach jeder gemeinsamen Probe gibt es neue Ideen, eine neue Struktur. Damit geht jeder von uns ja auch wieder nach Hause und da geht es dann erst einmal solo weiter – und was ich hier erarbeite bringe ich in die nächste Probe wieder mit!
Das macht für mich Faszination an der Gattung Lied aus! Jeder von uns beschäftigt sich zunächst alleine mit dem Werk, dann entwickelt es sich immer weiter im Austausch mit Martin. Solche gemeinsame Feldforschung ist für mich als Solo-Pianistin unbekannt und dann noch in einem so bedeutenden Ausmaß. Dieses gemeisame Entwickeln und der gemeinsame künstlerische Prozess ist etwas, was mich völlig begeistert beim Lied!