
Liedkunst in Vollendung
Franziska Andrea Heinzen und Benjamin Malcolm Mead beim Bonner Liedsommer
Liederabende folgen nicht selten einem geregelten Ritual und auch das Repertoire wie das Konzertsetting sind dabei zumeist festen Regeln unterworfen. Es ist immer ein gewisses Wagnis, sich über solcherlei Konventionen hinwegzusetzen, doch wenn man es tut, verheißt dies durchaus interessante Einblicke. So auch beim Liederabend von Franziska Andrea Heinzen und Benjamin Malcolm Mead in Bonn.
Das Traditionellste war hier noch die Konzertsituation: Flügel und Sängerin auf einem Podest, Publikum davor. Doch schon beim Ort fing es an: der war mit einer ehemaligen Human-Zentrifuge außergewöhnlich. Früher wurden hier die Astronauten des DLR im Kreis herumgeschleudert, um sie auf ihre Weltraumtauglichkeit zu prüfen. Mittlerweile ist die in einem Hinterhof an der wenig idyllischen Bundesstraße B 9 gelegene Ort ein nicht nur bei Insidern bekannter Konzertraum geworden, dessen kreisrunder Zuschnitt mitsamt dem industriellen Charme der Umgebung Konzerten einen ganz eigenen Charakter verleiht.
Auch in akustischer Hinsicht, denn durch seine Geometrie und die Betonhülle sind die diesbezüglichen Eigenschaften mit Vorsicht zu genießen, gleichwohl eröffnen sie auch manche Chancen. Bemerkenswert war der Liederabend auch durch die Auswahl des Repertoires: Lieder von Berg bis Reimann, zusammengehalten von der thematischen Klammer Rilke: alle Texte stammten aus der Feder des Dichters Rainer Maria Rilke: Leonard Bernsteins Two Lovesongs ebenso wie vier 1942 komponierte Lieder von Paul Hindemith oder die Mélodies Passagères op. 27 von Samuel Barber. Diese Zusammenstellung zeigte schon: Alltäglich war das Repertoire nicht, mit dem Heinzen und Mead in Bonn gastierten, auch durch weitere Lieder von Unger Wikstrom, Dora Pejacevic, Alban Berg oder Aribert Reimann, dessen aphoristischen Cinq fragments français auch auf dem Programm standen.
Diese brachten Heinzen und Mead ebenso gekonnt auf den Punkt wie Pejacevics ebenso reizvollen wie faszinierenden Zyklus Mädchengestalten. Was die beiden boten, war Liedkunst in Vollendung: stimmlich scheinbar unprätentiös, aber hochartifiziell, sensibel und mit einem feinen Gespür für die Musik zwischen den Tönen. In Verbindung mit dem außergewöhnlichen Repertoire war dies alles andere als ein Klavierabend von der Stange, sondern vielmehr ein Konzerterlebnis der besonderen Art, in jeder Hinsicht.
Text: Guido Krawinkel
Photo © Liedwelt Rheinland | KLINK ART, Joachim Müller-Klink
Konzert am 29.7.2018