
„Ich spiele wie ein Dirigent und dirigiere wie ein Pianist.“ –
Juni 2019
Mit Desar Sulejmani sprach Christiane Nitsche
Herr Sulejmani, Sie sind Pianist, Dirigent, künstlerischer Leiter, Repetitor, Dozent, Kultur-Manager, Vereinsgründer, Orchesterleiter, Kammermusiker und noch einiges mehr. Darf man Sie einen Musicaholic nennen?
Natürlich kann man das so sagen (lacht). Ich habe viele Interessen, was musikalische Tätigkeiten angeht. Das kann ich so ausleben. Und ich war immer neugierig, andere, noch nicht erforschte Bereiche der Musik kennenzulernen. Ich sehe mich selbst auf der einen Seite als Künstler, Musiker und Dirigent – auf der anderen Seite aber auch als Organisator und Veranstalter. Dazu unterrichte ich auch gerne und leite einige Kurse, außerdem eine Akademie im Ausland. Manchmal habe ich tatsächlich das Gefühl, dass der Tag zu kurz ist.
Genau danach wollte ich fragen: Wie muss man sich einen normalen Tag bei Ihnen vorstellen? Haben Sie ein geheimes Zeitkonto, von dem Sie dem Tag zusätzliche Stunden borgen?
Ich versuche, regelmäßig und genügend Klavier zu üben, vor allem morgens. Ich übe sehr gerne morgens, das kenne ich seit meiner Kindheit in Albanien. Wir mussten ganz normal in die Schule, aber das war eine besondere Musikschule, wie man sie aus Russland kennt. Und weil der Unterricht um 8 Uhr begann, bin ich sehr früh aufgestanden. Das hat sich mir so eingeprägt. Manchmal stehe ich auch schon um 4 Uhr oder 5 Uhr morgens auf, um zu üben, weil das auch die beste Zeit dafür ist. Da ist man noch frisch im Kopf. Danach geht es mit Bürozeit weiter – je nachdem, was ich gerade organisiere. Dann geht es meistens zum Unterrichten. Und am Abend habe ich meist Proben mit Orchestern und Chören oder Konzerte und was sonst für einen normalen Musiker üblich ist. Manchmal bin ich sehr viel unterwegs, weil die Projekte auch von A bis Z verstreut sind. Es ist eben ein zeitaufwendiger Beruf. Das ist aber auch kein Problem, ich liebe das. Manchmal könnte der Tag halt einfach ein paar Stunden mehr haben um alle Sachen unter einen Hut zu bringen.
Wieviel Schlaf haben Sie dann noch im Durchschnitt?
Fünf/sechs Stunden. Viel mehr ist es nicht. Aber manchmal gibt es Tage, wo ich keine Probe habe. Dann könnte ich mir vorstellen, dass ich etwas früher als sonst ins Bett gehe.
Woher kommt diese Umtriebigkeit? Sind Sie ein Suchender oder werden Sie einfach nicht satt? Gibt es einen Auslöser dafür?
Zunächst ist die Liebe, etwas Neues zu erforschen. So wie jetzt, zum Beispiel, wenn es darum geht, mit meiner Kollegin Judith Hoffmann neue Lieder zu erkunden, kennenzulernen und einzustudieren. Oder auch neue Projekte zu realisieren oder auch zu gründen. Wenn man meinen Lebenslauf verfolgt, sieht man, dass ich es mag, Dinge zu gründen, zu formen und sie ins Leben zu führen. Ich bin auch jetzt gerade dabei, zwei große Projekte im Ausland zu realisieren – ein großes Orchester in Südosteuropa und eine neue Ausrichtung für meine Akademie in Kosovo. Das ist für mich wichtig, weil ich dadurch etwas Gutes zurückgeben kann von dem, was ich hier gelernt, erfahren und erlebt habe. Ich lebe nun seit mehr als 21 Jahren in Deutschland, bin auch deutscher Staatsbürger. Das ist meine Heimat geworden. Ich denke deutsch und fühle albanisch. Es war immer eine Art Spagat zwischen Deutschland und Albanien. Ich sehe es darum heute als persönliche Aufgabe, davon etwas zurückzugeben, was mich heute ausmacht, dadurch, dass ich hier gelebt habe.
Sie sind 40 Jahre alt, also noch vergleichsweise jung. Sie sind ja eigentlich noch dabei, Ihre Karriere weiter aufzubauen. Aber gleichzeitig spricht aus Ihren Worten eine Haltung, die viele erst am Ende eines Berufs- und Lebenswegs einnehmen. Sie tun beides parallel?
Es geht mir in erster Linie darum, dass eine Sache, die ich mache, lange Bestand hat. Ich mag einmalige Projekte nicht unbedingt so sehr. Es braucht Zeit, diese Dinge auf die Beine zu stellen. Wenn es dann klappt, ist es irgendwann praktisch ein Selbstläufer. Dadurch, dass ich viel reise, kommen mir viele Gedanken und Ideen, wenn ich Auto fahre. Die versuche ich dann am Schreibtisch umzusetzen.
Ich bin natürlich auch schon auf die Schnauze gefallen, wie jeder Mensch. Aber das hat mich nicht davon abgehalten, wieder etwas Neues anzufangen.
Gibt es Beispiele für Dinge, die nicht geklappt haben, und aus denen Sie dann gelernt haben?
Auf meinem musikalischen Weg gab es Momente, wo ich dachte: Da habe ich mir mehr erhofft. Kammermusik zu machen, zum Beispiel. Dadurch, dass sich viele Kollegen nach den Studien verstreuen, weil jeder woanders ein Engagement findet, sind zwei bis drei gute Projekte, die wir in dieser Zeit aufgebaut hatten und die mir persönlich wichtig waren, zu Ende gegangen. Wir hatten einfach nicht mehr die Zeit und Nähe miteinander, weil Deutschland eben ein großes Land ist. Ich habe Kollegen, die leben 800 Kilometer entfernt. Wären wir in meiner alten Heimat Albanien gewesen, würden wir heute noch zusammen spielen. Aber: Wenn wir uns treffen, egal wie viel Zeit vergangen ist, ist die damalige Stimmung sehr schnell wieder zu erleben. Und das ist etwas Besonderes. Dieses Erlebnis, diese Art von großer musikalischer Zuneigung habe ich leider nicht mehr in dem Sinne – bis auf Judith Hoffmann. Natürlich sind die neuen Sachen genauso wichtig, aber manchmal ist es so: Ich liebe Kammermusik sehr, aber ich habe gelernt, dass das eine Betätigung im Leben eines Künstlers ist, die sehr behutsam gepflegt werden sollte. Das ist mit hohen sozialen Kompetenzen der jeweiligen Musiker verbunden. Das heißt, man muss daran arbeiten, genau wie in einer guten Freundschaft, einer Ehe, einer ganz normalen menschlichen Beziehung. Diese Art von Zuneigung, dieses voneinander lernen und miteinander Musik zu machen – das ist etwas Wichtiges, etwas Persönliches. Wenn man das lange Zeit machen kann: Das ist ein Geschenk. So wie mit meiner geschätzten Kollegin Judith Hoffmann.
Sie kennen Judith Hoffmann auch schon vom Studium her. Was zeichnet ihre Zusammenarbeit aus?
Wir kennen uns seit etwa 20 Jahren. Ich weiß nicht mehr, wann wir das erste Mal miteinander musiziert haben. Aber es ist schon sehr lange her. Es gab Zeiten, wo wir nichts miteinander zu tun hatten, weil sie eben auch 600 Kilometer weit weg gewesen ist. Dann kam sie zurück und da haben wir uns wieder gefunden. Wenn es etwas Wahres ist, was einen früher verbunden hat, dann hält das auch. Dann trägt man das mit sich.
Wie entstand die Idee für das Mahler-Konzert? Was verbindet Sie persönlich mit den Liedern Alma Mahlers?
Es ist ein Impuls von Judith gewesen. Sie hatte sich etwas intensiver mit dem Thema beschäftigt. Dann kam sie eines Tages, brachte Noten mit und sagte: Hör dir das mal an. Ich hatte zufälligerweise kurz zuvor angefangen, die Erinnerungen von Alma Mahler zu lesen. Obwohl ich eigentlich nicht an Zufälle glaube. Wobei Judith den ersten Impuls gab, ich war eher von der historischen Seite der Alma Mahler interessiert. Mit ihren Liedern hatte ich mich noch nicht so beschäftigt. Dadurch, dass ich sie jetzt besser kennenlerne, finde ich das schade. Wir finden sie beide als Persönlichkeit sehr interessant. Und wenn wir uns wie jetzt intensiv mit dem Programm beschäftigen, finden wir es immer wieder interessant, sie, ihre Gedanken und ihre Zeitgenossen vorzustellen. Egal, ob man sie mag oder nicht. Wir versuchen, neutral zu sein, die Persönlichkeit darzustellen, ohne Teil des Urteils zu sein. Unser Anliegen ist es, ihre Vorstellung musikalisch zu begleiten. Alles andere darf und soll der Zuschauer, darf das Publikum erleben und natürlich auch die eigene Meinung bilden. Möglichst ohne Vorurteile. Sie ist eine umstrittene Persönlichkeit, zweifelsohne.
Wobei Sie sich in ihrer Umtriebigkeit doch durchaus wiederfinden können, oder?
Ja genau (lacht). Ich finde es interessant. Für manche ist es anstrengend, das gebe ich zu. Aber diese Neugierde muss irgendwie gestillt werden. Man hat nicht selten das Gefühl, etwas zu verpassen. Das kann ich sehr gut verstehen. Aber das ist im Grunde gut. Es macht einen lebendig. Aber für einen selbst kann es sehr ermüdend sein.
Das Konzept für das Mahler-Programm haben Sie schon im vorigen Jahr erfolgreich im Liedsommer auf die Bühne gebracht. Gibt es Veränderungen, wenn Sie es nun wieder spielen?
Nein, wir haben nichts verändert – nichts an der Dramaturgie und an der Reihenfolge der Lieder. Aber es kann schon sein, dass wir noch das eine oder andere Lied tauschen oder die Ordnung ändern. Glauben tue ich es aber weniger, denn für uns war das Ganze aus einem Guss, so wie wir es erlebt haben. Außerdem folgt das Ganze einem roten Faden.
Musikalisch ist es natürlich immer ganz anders. Das ist immer so, wenn wir miteinander musizieren. Dadurch, dass wir uns so gut kennen, gibt es da einen großen Spielraum für spontanes Musizieren. Ich kenne ihren Atem sehr gut. So gut, dass ich blind um drei Uhr nachts mit ihr musizieren könnte und sie als Pianist auf den Händen tragen könnte. Ich denke, das weiß sie auch. Das musikalische Vertrauen ineinander ist sehr groß.
Für jemanden, der stets Neues versucht – ist da die Wiederholung nicht eine besondere Herausforderung? Keine Angst vor Langeweile?
Langweilig wird es für mich nicht. Wir haben das letzte Mal vor ein paar Monaten das Programm gespielt, und seither haben wir uns als Musiker entwickelt. Durch die Erfahrungen, die sie gemacht hat, und die ich gemacht habe, kommen wir ganz anders zueinander als vor fünf oder sechs Monaten. Von daher ist es jedes Mal ein Wiedertreffen, da wo wir aufgehört haben. Und da machen wir weiter. Das ist das Spannende daran. Es kann viel Zeit vergehen, aber es ist jedes Mal, als wäre es gestern gewesen. Wir sprechen auch oft über die Intensität, die sich da musikalisch einstellt.
Vor allem im Liedbereich braucht es diese Intensität. Das habe ich schon in meinem Studium erlebt. Wenn man die nicht herstellen kann, ist man da fehl am Platz. Man muss auch in der Lage sein, das sehr schnell abzurufen.
Wenn wir noch einmal an den Anfang des Gesprächs gehen. Welche der genannten Tätigkeiten würden sie gern intensiver verfolgen?
Komponist bin ich im Grunde nur für mich oder meine Kinder. Dafür fehlt mir einfach die Zeit. Ich würde gerne etwas mehr experimentieren können. Vielleicht etwas weniger Organisatorisches. Im Grunde bräuchte ich einen Assistenten, der so wie ich denkt, ohne dass ich mich erklären muss. Das ist das Dilemma (lacht).
Ich würde auch gerne mehr Lieder komponieren, im Bereich des Kunstliedes. Vor vier bis fünf Jahren habe ich begonnen, einen Liederzyklus zu komponieren. Es sollten acht Lieder werden. Bisher sind nur zwei fertig geworden. Was ich sehr schade finde, weil es auch gute Texte gibt. Ich mache mir dann Notizen, aber bis auf ein paar kleine Motive, die irgendwo versteckt sind, habe ich es nicht geschafft, weil ich eben auch einen hohen Anspruch habe. Aber das ist etwas, dass ich gerne auch mit Judith machen würde – für sie etwas komponieren, das wir dann im Rahmen eines Programms präsentieren könnten. 2019 wird das nichts, weil ich sehr viel zu tun habe. 2020 vielleicht auch noch nicht. Aber zwischendurch werde ich es vielleicht versuchen.
Ansonsten bin ich froh, wenn meine Projekte klappen, so wie ich sie angelegt habe. Aber ich mache auf jeden Fall weiter, wo meine Gedanken mich hin führen. Nicht erfüllten Sachen trauere ich nicht nach.
Sie sind ja noch vergleichsweise jung – da bleibt doch noch Zeit für Pläne?
Ja, das stimmt. Das Leben ist aber doch nicht sooo lang. Es kann ziemlich schnell vergehen. Wenn ich zurückdenke, denke ich: Es ist schon so viel passiert.
Beim Alma-Mahler-Programm treten Sie auch hinter dem Klavier hervor. Wenn Sie nicht Pianist geworden wären – wären Sie gerne Sänger?
Ich war immer eher der Mensch, der ohne Worte auf die Bühne gegangen ist. Was meine Stimme betrifft, war ich ein introvertierter Mensch. Aber nachdem ich teilweise gezwungenermaßen es machen musste, habe ich mit den Jahren auch Spaß daran gefunden. Ich habe keine Scheu mehr. Früher hätte ich gesagt: Ich kann nicht singen. Das tue ich nicht mehr. Wenn ich etwas vorsinge, was ja in meinem Beruf nicht unüblich ist, denke ich, dass man das schon anhören kann. Aber ich würde nicht sagen, ich wäre gerne Sänger geworden, nein. Ein Sänger, vor allem ein Opernsänger, muss darstellen, muss schauspielern, sich präsentieren. Ich bin eher der, der von unten aus dem Orchestergraben das Ganze mit meinen Händen organisieren und zusammenfügen möchte. Diese erste Rolle überlasse ich gerne anderen. Wenn ich unten gut bin, dann habe ich mehr als genug getan, um den anderen zu helfen. Das ist letztendlich auch das Wesentliche. Ich muss kein Sänger sein. Dafür bin ich Pianist und Dirigent. Ich liebe es, mit Sängern zu arbeiten und finde es immer faszinierend, was mit der Stimme alles möglich ist.
Mein großes Glück ist, dass ich die beiden Berufe Pianist und Dirigent miteinander kombinieren kann. Mir ist beides sehr wichtig. Ich spiele wie ein Dirigent und ich dirigiere wie ein Pianist.