„Beim Lied ist es wie bei einer Farbpalette: Man greift rein und spielt mit den Farben“
Juni 2020
Das Interview vorlesen lassen:
Mit Silke Weisheit sprach Frederik Schauhoff
Frau Weisheit, das Kunstlied ist Ihnen eine Herzensangelegenheit. Was macht dieses Genre für Sie aus?
Das ist eine schon lange und vielseitige Liebe. Ich finde besonders spannend, dass ich im Lied in verschiedene Rollen eintauchen kann und nicht, wie in der Oper, auf bestimmte Rollen festgelegt bin. Ein weiterer Punkt ist die besondere Arbeitsweise: Mit einem Pianisten ein eigenes Ding zu entwickeln, eine eigene Sprache zu finden und die vielen Feinheiten – wie Perlen – herauszuarbeiten, fühlt sich für mich wie die Arbeit mit einer Farbpalette an. Man greift rein und spielt mit den Farben. Ich singe beispielsweise an machen Stellen wirklich fahl, so wie es dem Text eben entspricht. Ich möchte also nicht nur schön singen, sondern ich will wirklich versuchen, die Stimmung mit der Stimme auszudrücken.
Haben Sie denn eine liebste Epoche, in der Sie sich künstlerisch bewegen?
Ich finde es spannend, die verschiedenen Stilrichtungen im Lied zu bedienen. Vom Barock bis zur Moderne ist alles dabei. Mein Steckenpferd ist aber die Romantik. Ich liebe besonders die Lieder von Gustav Mahler, aber auch Robert Schumann, Johannes Brahms und Claude Debussy. Alban Berg finde ich von den Farben unglaublich toll. Und bei Richard Strauss, das fließt so, da kann man einfach in den Klängen baden. Und gleichzeitig gibt es bei ihm Lieder, bei denen man spielerisch was machen kann. Und ich liebe Lieder, bei denen man auch spielen kann, da kommt wohl raus, dass ich ursprünglich von der Oper komme.
Kann man diesen Ursprung wörtlich nehmen? War die Oper ihr musikalisches Erweckungserlebnis?
Ja, ich komme aus einem Haushalt musikbegeisterter Laien in Essen und habe als 10-jährige in einer Opernaufführung von Hänsel und Gretel beschlossen, Sängerin zu werden. Das glaubte mir natürlich zunächst niemand, aber ich habe fortan bei den Opernplatten mitgesungen und bin in den Chor gegangen. Mit 16 Jahren fing ich mit dem Gesangsunterricht an und habe nach dem Abitur zunächst Schulmusik in Essen studiert und in einem Opernensemble mitgesungen. Nach einem Jahr habe ich dann in Köln mein Gesangsstudium begonnen.
Über die Oper habe ich auch meinen Mann kennengelernt, der am Aalto-Theater in just jener Produktion der Zauberflöte als Schauspieler mitwirkte, in der ich den dritten Knaben sang.
Was für eine schöne Geschichte! Da versteht es sich ja von selbst, dass Sie das spielerische Element sehr schätzen. Dieses liegt im Lied ja schon in den Texten begründet. Nun soll es ja Leute geben, die meinen, dass sie mit diesen altertümlichen Worten und Sätzen nicht viel anfangen können. Das Problem haben Sie sicher nicht, oder?
[lacht] Nein, auf keinen Fall. Für mich ist die Sprache eher wie eine Wundertüte. Da gibt es so Wortschöpfungen wie Frühlingsabenddämmerung, die die Stimmung so im Wort malen und wenn dann noch die Melodie hinzukommt, ist es einfach perfekt. Diese Vielfalt der Sprache macht für mich ganz viel aus und so lese ich auch gerne privat alte Romane..
Nun fällt es einem in der Muttersprache natürlich leichter mit der diffizilen Sprachgebung der Lyrik. Wie gehen Sie denn fremdsprachige Lieder an?
Mir ist nicht nur eine sinngemäße Übersetzung des Inhaltes wichtig, sondern auch eine Übersetzung Wort für Wort. Wenn es die nirgendwo gibt, dann fertige ich sie auch selber an. Das fällt mir bei manchen Sprachen, wie Italienisch, natürlich leichter, als bei anderen.
Dass Ihnen die Sprache wichtig ist, zeigt sich auch in Ihrer Familie: Wie wir schon erfahren haben, ist ihr Mann Schauspieler und Sprecher. Arbeiten Sie heute auch noch zusammen?
Ja, uns ist vor einigen Jahren die Idee gekommen, Lied und Rezitation miteinander zu verbinden. Ich finde einen reinen Liederabend nicht so interessant. Deswegen versuchen wir ein Programm zu konzipieren, das eine Geschichte erzählt. Wir hatten zum Beispiel einen Abend zum Thema Goethe in Neapel, bei denen Texte aus der Italienischen Reise gelesen und mit Liedern kombiniert wurden, die sich emotional auf die Schilderung Goethes bezogen. Momentan planen wir einen Abend zum Thema Nacht/Nachtgeschichten mit Liedern von Brahms, Debussy, Berlioz, Mahler und Jensen. Es wird einen großen Bezug zur phantastischen Nacht geben und viele Eichendorff-Gedichte werden vorkommen. Unter anderem stellen wir Schumanns Liederkreis op. 39 um und kombinieren ihn mit gesprochenen Gedichten. Aber mehr verrate ich noch nicht.
Und wann darf man sich auf diesen Abend freuen?
Das steht auf Grund der jetzigen Lage noch in den Sternen, da gerade fast keine Veranstalter planen wollen. Aber in einer Post-Corona Zeit werden wir das möglichst schnell umsetzen. Momentan steht noch eine Veranstaltung am 22. August im Rathaus Bergisch-Gladbach mit Liedern von Max Bruch zu dessen 100. Todestag an, bei der auch Bruchs Violinkonzert zur Aufführung kommen wird. Außerdem findet im November hoffentlich die Wiederholung eines Projektes statt, bei der Gustav Mahlers Kindertotenlieder in einer Kammerbesetzung aus Horn, Sopransaxophon, Klavier und Gesang zu einer Ausstellung mit Bildern von Manfred Bockelmann erklingen, der gegen das Vergessen von Kindern aus Konzentrationslagern gemalt hat. Diese erschütternden, beeindruckenden Bilder mit den Liedern Mahlers zu kombinieren erzielt eine ungeheure Wirkung.
Das klingt mir nach einem sehr spannenden Projekt und auch nach einer interessanten Fassung der Kindertotenlieder. Sie haben auch zu Anfang viel von Klängen und Farben gesprochen. Reizen Sie Liedformationen, die über das klassische Liedduo aus Gesang und Klavier hinaus gehen?
Ja, ungemein! Neben Mahler durfte ich auch Richard Wagners Wesendonck-Lieder mit Orchester aufführen und plane Ravels Chansons madécasses für Mezzosopran, Flöte, Violoncello und Klavier. Da geht mein Interesse definitiv hin.
Ich habe auch gesehen, dass Sie begonnen haben, Videoclips von Kunstliedern zu drehen?
Bisher gibt es nur einen Clip auf Youtube, nämlich Auf dem Wasser zu singen von Franz Schubert mit Tobias Krampen am Klavier, das ich auf einem Stand-up-Paddel im roten Abendkleid auf der Sieg singe. Mein Mann konnte es natürlich auch nicht lassen, mich am Ende samt Abendkleid ins Wasser zu schubsen (lacht). Ich habe noch mehrere solcher Ideen, die in der nächsten Zeit realisiert werden sollen. Bisher ist es nicht dazu gekommen, weil ein richtiger Dreh natürlich einen großen Aufwand bedeutet. Ich habe aber die Hoffnung mit solchen Clips noch ein anderes Publikum zu gewinnen.
Sie haben bereits mehrfach die aktuell schwer planbare Situation angesprochen. Wie erleben Sie als freischaffende Sängerin die Folgen der Covid19-Pandemie?
Ich persönlich komme glücklicherweise durch die Krise. Aber ich habe befreundete Künstler, die nicht wissen, wovon sie ihre Miete zahlen sollen. Nun helfen weder die Soforthilfen, noch ist es bei den derartigen Auflagen und der derzeitigen Verunsicherung möglich, Aufführungen zu machen, bei denen man nicht das Risiko gehen muss, ein schwerwiegendes Verlustgeschäft zu machen. Ich kenne Veranstalter, die nur noch ein Viertel der Plätze belegen dürfen und dann fragen, ob man das Konzert am selben Tag mehrfach für dieselbe Gage singen würde. Das Motto scheint zu sein: Ihr dürft doch wieder, also seid doch froh. Da gibt es also an vielen Stellen keine Wertschätzung mehr. Jeder ist natürlich mit seinem eigenen „Überleben“ beschäftigt.
Wie sieht es denn in Ihrem nicht künstlerischen Umfeld aus? Gibt es mehr Menschen, die die Kultur stark vermissen, oder mehr, die noch stark verunsichert sind?
Teils, teils. Manche vermissen die Kultur wahnsinnig, aber viele würden sich auch nicht trauen. Dennoch glaube ich, dass die Menschen bei einem steigenden Angebot unter Sicherheitsauflagen auch wieder vermehrt in Konzerte gehen werden. Wir gehen einkaufen und sitzen in Cafés, da ist das Risiko in keinem Konzertraum höher. Und es kann mir niemand erklären, warum man in den Flugzeugen – auch wenn diese starke Lüftungsanlagen haben – näher beieinander sitzen darf, als im Konzert. Wir Sänger sind doch nicht per se Corona-Scharfschützen [lacht].
Ein Bereich, der schneller wieder ans Laufen kommt, ist der Gesangsunterricht. Sie selbst nehmen regelmäßig Unterricht, geben ihr Wissen aber auch leidenschaftlich an andere weiter. Führen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler auch in die Welt des Kunstliedes ein?
Das ist nicht immer so einfach, da viele Schülerinnen und Schüler im Vorhinein nichts mit der klassischen Musik zu tun haben. Aber bei den Älteren klappt das über Umwege ganz gut.
Doch unabhängig davon, habe ich über das Unterrichten noch einmal ganz neu meine eigene Stimme kennengelernt, auch über eine intensivere Betrachtung der Stimmphysiologie. Ich habe darüber noch einmal einen solchen Drive bekommen, da hat sich so viel getan, vor allem in der Höhe. Da hatte ich früher Probleme, die jetzt vollkommen weg sind.
Sie haben also am eigenen Beispiel die Vorzüge des lebenslangen Lernens erfahren?
Ja! Und es gibt noch mehr „ältere“ Sängerinnen, die ich ermuntern möchte immer weiterzumachen. Es ist doch schade, dass der Markt und wir uns selbst heutzutage nicht mehr die Möglichkeit geben, zu reifen. Wir sollten uns stattdessen sagen: ich möchte das machen, ich möchte mich ausdrücken. Auch und gerade wenn man an Grenzen stößt! Als ich aufgehört habe zu studieren, habe ich noch lange nicht das gekonnt, was ich jetzt kann. Mit der Erfahrung habe ich gerade auch die am Anfang angesprochene Farbpalette entdeckt. Jetzt kann ich wirklich überlegen, wie ich Phrasen mit verschiedenen Stimmfarben gestalte. Gerade im Kunstlied lässt sich da vieles ausprobieren. Und wir müssen das Genre Kunstlied auf jeden Fall am Leben erhalten. Das ist so vielschichtig, so interessant und es gibt so viel Neues zu entdecken. Natürlich kann man auch auf etwas stoßen, was nicht so gut ist. Aber es gibt so viele tolle Sachen, dass ich jedem raten möchte, auf der Suche zu bleiben.