
„Jedes Stück, das ich gerade spiele, ist das schönste und wichtigste ist, das es gibt“
November 2020
Das Interview vorlesen lassen:
Mit Hans Eijsackers sprach Lisa Ochsendorf.
Herr Eijsackers, Sie sind ja seit 2013 Professor an der Robert Schumann Hochschule für Musik in Düsseldorf. Erzählen Sie doch einmal, wie Ihre „Aufnahmeprüfung“ für die Position war!
Ich habe mich beworben, weil ich dachte, dass das ein schöner Job für mich wäre und ich Lied unheimlich wichtig und inspirierend finde. Ich hatte aber natürlich auch viel Angst, weil ich noch nie auf Deutsch unterrichtet hatte. Aber es war ja erfolgreich, also habe ich irgendetwas gut gemacht. Ich habe auch wirklich etwas lernen müssen. Ich glaube, in Deutschland ist Liedgestaltung eigentlich ein Klavierfach.
Das wird von Pianisten unterrichtet und ausgeführt – mit Sängern. In den Niederlanden ist das weniger so. Da sind Pianisten eigentlich Begleiter. Sie sollen auch nicht so viel dazu sagen, denn Gesang ist etwas Mysteriöses, worüber man eigentlich nur als Sänger sprechen kann und Pianisten sollen deswegen nicht zu viel dazu sagen. Deswegen wurde mir auch gesagt, dass ich manchmal noch etwas direktiver sein könnte. Das musste ich noch lernen. Jetzt hat mein achtes Jahr angefangen, das ich in Düsseldorf unterrichte und es gefällt mir noch immer.
Und wie kamen Sie generell zur Liedgestaltung?
Eigentlich schon seit Beginn meines Studiums, denn ich war seit Anfang an mit einigen Sängern befreundet. Und das Repertoire hat mir sehr gefallen – ich habe gemerkt, dass ich es sehr inspirierend finde, sich auch mit den Texten zu beschäftigen. Manchmal fühlt es sich freier an als Solo-Klavier. Man muss schon ein bisschen anders denken, Phrasierungen können viel deutlicher sein, man kann richtig Punkt und Komma machen. Bei Kammermusik oder Soloklavier ist das musikalisch manchmal viel abstrakter – was ich auch gut finde, da ich gerne strukturiert denke. Früher habe ich auch ein bisschen komponiert, aber das meiste davon habe ich wieder weggeschmissen (lacht). Ich mag es jedenfalls, wenn ein Stück eine gute Struktur hat. Da bietet das Musizieren mit Gesang mehr Freiheiten: die Atmosphäre, die Textabschnitte, da kann man wirklich richtig atmen und erst dann in der Musik vorangehen – das ist wirklich eine Freiheit und das finde ich sehr inspirierend.
Gibt es denn Dinge an der Musikhochschule, die Sie manchmal nerven oder die Ihnen besonders viel Spaß machen? Mit Studierenden zu arbeiten ist wahrscheinlich nicht immer leicht…
(lacht) Nein, leider nicht. Jetzt muss ich natürlich aufpassen, was ich sage (lacht). In Düsseldorf ist es leider noch kein Masterstudiengang wie zum Beispiel in Köln, Hamburg oder Hannover. Ich kämpfe schon seit fünf Jahren dafür, dass der Studiengang kommt und auch unser Prorektor setzt sich sehr dafür ein. Aber natürlich muss alles stimmen, Geld muss da sein, die Module müssen richtig eingerichtet und vernetzt werden und alles wird von einem einzigen Menschen organisiert. Ich dachte eigentlich, dass die Vorbereitungen nun bald fertig seien – und das war vor eineinhalb Jahren. Seitdem, so scheint‘s ist nichts mehr passiert. Das nervt mich, dass der Studiengang immer noch nicht existiert, denn ich finde das Fach Liedgestaltung einfach wichtig.
Außerdem finde ich auch, dass Düsseldorf als Stadt von Schumann und Heinrich Heine diesen Masterstudiengang einfach haben muss. Es ist auch schade, dass ich selbst noch keine Studierenden für diese Ausbildung annehmen kann – denn es ist ja „nur“ ein Nebenfach. Es gibt immer wieder Pianisten, die zu mir kommen und sagen, sie möchten bei mir studieren. Da muss ich sagen: Das möchte ich auch gerne, geht aber leider nicht. Und dann gehen sie doch nach Köln oder Karlsruhe. Das ist schade. Gerade belegen alle, die Klavier studieren, mindestens zwei Semester lang Kammermusik oder Liedgestaltung oder beides. Und das Fach Liedgestaltung ist bei uns sehr populär! Manchmal habe ich im Semester 22 Duos! Natürlich bleibt dann nicht so viel Zeit für jedes einzelne Duo, aber ich versuche, allen ein bisschen etwas beizubringen. Und wer viel Freude daran hat, macht sowieso weiter. Für viele Studierende ist Liedgestaltung auch ein Pflichtfach. Die üben dann zu wenig und sind unvorbereitet. Das nervt dann auch die Sänger. Dann bin ich sowas wie eine Heiratsbetreuung (lacht).
Aber es ist doch toll, wenn so viele Liedunterricht haben wollen!
Ja! Das finde ich auch so schön. Als ich angefangen habe, hatte ich das Gefühl, dass in den Niederlanden das Lied eigentlich vorbei sei: Diese Gattung schien „von früher“ zu sein, Lieder wurden als elitäre und intellektuelle Kunst angesehen, bei denen niemand mehr versteht, worum es geht. Aber das hat sich seitdem verbessert! Ich habe das Gefühl, dass viele Studierende das Lied mögen, merken, wie schön es ist, aber auch wie aktuell die Texte noch sind und daher heutzutage persönlich erlebt werden können. Das finde ich toll!
Wie funktioniert denn der Balanceakt zwischen Unterrichten und selbst als Pianist tätig sein?
Ich unterrichte meistens dienstags und mittwochs. Das heißt, an den anderen Tagen kann ich eigentlich in Ruhe üben und proben. Und die meisten Konzerte sind ja sowieso am Wochenende. Das Gute ist, dass die meisten Hochschulen es befürworten, dass die Dozenten aktiv tätig sind. Deshalb fühle ich mich nie schuldig, wenn ich einmal eine Woche verschieben muss. Ich finde Unterrichten wirklich toll! Aber wenn ich nicht mehr spielen könnte, dann würde ich das auch vermissen. Ich möchte daher die beiden Bereiche nicht trennen, lieber beides so viel wie möglich machen. Sonst würde ich immer etwas vermissen.
Ich habe gehört, dass Sie auch mit dem Musikfestival in Zeist viel zu tun haben. Erzählen Sie doch mal darüber.
Zeist ist eigentlich das erste Liedfestival in den Niederlanden, das sich so gestaltet wie beispielsweise Schwarzenberg oder Oxford-Lied. Es wurde in fünf Jahren sehr groß. Es kommt auch viel Publikum. Ich habe insofern damit zu tun, dass ich drei von fünf Malen dort gespielt habe. Und einige Male habe ich dort auch unterrichtet. Das Festival dauert zehn Tage lang. Jeden Abend gibt es einen Liederabend mit einem weltberühmten Liedsänger oder Liedpianisten. Tagsüber gibt es Masterclasses mit holländischen Weltstars wie Elly Ameling oder Robert Holl.
Sie waren die Vorreiter und wollten die Tradition weitergeben. Auch haben sie Kollegen wie Graham Johnson oder Ann Murray eingeladen. Seitdem gibt es immer einen sehr intensiven Kurs mit mehreren Sängern, zwei Pianisten, Lesungen, Unterricht, Kursen bei Schauspielern, Veranstaltungen für Kinder. Das ist sehr intensiv, damit sich die Duos sechs Tage lang richtig mit dem Lied beschäftigen können. Wenn man als Duo kommt, dann wird man dort wirklich arbeiten (lacht). Ich finde Zeist sehr interessant, weil es so schnell gewachsen ist und es so ein Festival vorher in den Niederlanden gar nicht gab. Wir hoffen alle, dass es so weitergeht.
Wie ist es mit dem Studenten-Liedduo Wettbewerb in Groningen, haben Sie den initiiert?
Nein, er besteht schon seit zehn Jahren und ich habe ihn von dem Pianisten Marien van Nieukerken übernommen. Er hatte angefangen, einen Wettbewerb in Enschede zu organisieren. Dieses Jahr war es das erste Mal, dass ich die künstlerische Leitung innehatte. Zuvor war ich zweimal in der Jury. Uns ist eine angenehme Wettbewerbsatmosphäre sehr wichtig, denn dann kommen die besten Ausführungen und Erfolge. Ich glaube, dass das auch gelungen ist.
Absolut! Wie ist es während Corona für Sie?
Ruhiger, leider. Ab März war dann erst einmal alles weg. Dann habe ich auch nicht so viel geübt und hatte Zeit, Sachen im Haus zu renovieren. Danach hatte ich Lust, mehr zu lesen und wieder Solostücke zu spielen. Und plötzlich war die Zeit auch vorbei. Ich habe zwei Kinder, zwei Jungen im Alter von neun und zwölf Jahren. Mit ihnen musste ich auch Zuhause für die Schule arbeiten, denn sonst machen sie nichts (lacht). Sie denken sonst: oh, Freizeit! Leider sind beide ziemlich intelligent und waren mit ihren Aufgaben, die für den ganzen Tag angesetzt waren, nach einer dreiviertel Stunde fertig. Dann mussten wir uns immer Aufgaben ausdenken (lacht).
Was spielen Sie eigentlich besonders gerne und was ist Ihnen in der künstlerischen Arbeit besonders wichtig?
Gute Frage. Ich sage mir manchmal, dass das Stück, das ich gerade spiele, das schönste und wichtigste ist, das es gibt (lacht). Ich liebe noch immer Chopin. Und ich mag auch unheimlich gerne französische Musik. In der französischen Musik kommt alles so gut zusammen: das Spiel mit den Farben, die Registrierung, das Parfum. Das Wichtigste ist immer die Vorstellung, was man erreichen will – und dann ist die Frage, wie man das erreichen kann. Da kann man das Klavier auf alle Arten ausnutzen. Besonders herrlich finde ich Ravel, vielleicht auch, weil dort die Struktur so gut und perfektionistisch ist – ohne, dass man es spürt. Das ist einfach schön, ich bewundere das genauso bei Brahms. Und meine andere Liebe ist Schubert. Das passt zufällig sehr gut mit dem Lied, aber auch die Kammermusik und die Trios mag ich sehr.
Vorhin haben Sie selbst darüber gesprochen, dass die Rolle des Liedpianisten in den Niederlanden eher eine begleitende ist, anders als in Deutschland. Wie ist das für Sie ganz persönlich?
Natürlich finde ich den Klavierpart sehr wichtig. Er ist musikalisch absolut gleichwertig zum Gesang. Schon wenn das Vorspiel nicht stimmt, kann das Lied nicht funktionieren. Man muss einander gut zuhören und mitfühlen. Ich glaube, alle Sänger bemerken das auch, wenn das passiert. Sie fühlen sich dann unterstützt und reagieren auf das, was der Pianist macht. So ist es für beide am schönsten.
Ich kann auch verstehen, dass der Sänger im Konzert mehr wahrgenommen wird. Er steht vorne, er erzählt die Geschichte. Doch es ist schwierig, damit umzugehen, wenn es in der Presse auch so geschrieben wird. Eine CD mit Liedrepertoire ist nach wie vor eine Solo-CD des Sängers. Aber es ist eine Duo-CD! In manchen Rezensionen wird dann auch nur über den Sänger geschrieben. Da muss ich immer an die Schwarzkopf-Anekdote denken: „Sie müssen heute Abend sehr gut gespielt haben, Sie haben mich gar nicht gestört“. Das ist immer noch schwer, damit umzugehen. Was wir Pianisten machen ist auch keine „Begleitung“. Deswegen mag ich das deutsche Wort Liedgestaltung so sehr! Das existiert leider auf Niederländisch nicht. Vielleicht ändert es sich langsam, zumindest hat es sich seit Gerald Moore sehr entwickelt. Alle Größen wie Helmut Deutsch oder Malcolm Martineau spielen jetzt auch immer mit offenem Flügel. Das war früher nie der Fall! Früher wollten einige Sänger den Flügel ganz geschlossen haben, nicht einmal halb offen, selbst wenn sie eine riesige Stimme hatten.
Gott sei Dank dürfen wir Pianisten den Flügel heutzutage aufmachen……
Ja! Mein Argument ist immer: dann kann man schöner leise spielen (lacht).
Wenn Sie noch einmal wählen könnten, würden Sie dann etwas anderes als Pianist werden wollen?
Eigentlich kann ich mir nichts anderes vorstellen, das ich lieber machen möchte. Ich finde, es ist das schönste, was es gibt. Also zum Beispiel Sänger werden? Lieber nicht (lacht). Das ist mir zu kompliziert. Ich mag das Klavierspielen und auch die Rolle als „Begleiter“, obwohl ich noch immer gerne solo spiele. Das Repertoire ist einfach toll. Wir dürfen als Pianisten – nach Corona – immer spielen, auch wenn wir erkältet sind. Eins meiner schönsten Konzerte habe ich gespielt, als meine Nase absolut zu war. Aber da hatte ich so eine Konzentration, das hat mir eigentlich sehr gut gefallen. Wir können das! – Sänger müssen dann absagen. Nein, ich kann mir nichts anderes vorstellen, das ich lieber machen würde.