
Interview mit Yuka Schneider
„Mein Herz hängt an Kammermusik und Lied und dem gemeinsamen Musizieren“
September 2020
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Mit Yuka Schneider sprach Frederik Schauhoff
Frau Schneider, Sie stammen aus Nara in Japan. Wie haben Sie zu Ihrer Liebe für das deutsche Kunstlied gefunden?
Die Beschäftigung mit der europäischen Musik ist Japan ganz natürlich. So habe ich schon in Japan Kunstlieder kennengelernt und fand diese auch schön, aber meine erste bewusste und vertiefte Begegnung mit dem Kunstlied fand erst im Rahmen meines Studiums in Deutschland statt. Für eine junge Solo-Pianistin waren das zunächst nur kurze, schöne und teilweise auf den ersten Blick einfach erscheinende Musikstücke (lacht). Als ich aber in Mannheim Kammermusik studiert habe und Liedgestaltung belegen musste, setzte meine intensive Beschäftigung und meine Begeisterung für das Kunstlied ein.
Haben Sie zuvor schon in Japan studiert?
Nein, ich bin mit 19 Jahren direkt zum Klavierstudium nach Mannheim gekommen. Wenn ich heute solch junge Leute sehe, die diesen Schritt machen, denke ich manchmal „Oh mein Gott, das ist mutig!“ Aber damals fühlte sich das für mich ganz normal an. Schließlich haben mir die japanischen Hochschulen nicht so sehr gefallen. Und meine damalige Klavierlehrerin, die selbst in Deutschland studiert hatte, sagte mir: „Geh doch nach Deutschland, das passt zu dir.“ Von dem Moment an habe ich nur noch dafür gearbeitet. Damals gab es ja noch kein Internet. Ich habe vom DAAD ein dickes Buch mit den Namen und Adressen aller Professoren an den deutschen Musikhochschulen bekommen und dann einfach wild drauf losgeschrieben. Glücklicherweise hat ein japanischer Professor in Karlsruhe, den ich schon kannte, einen dieser Briefe gelesen, mir sehr nett geschrieben und mir dann Tipps gegeben, wen er für mich empfehlen würde. Denen habe ich dann vorgespielt und mich für Wuppertal entschieden.
„Die Töne, die Mitsuko Uchida spielte, schienen vom Himmel zu kommen.“
Wie kommt es, dass sich so viele japanische Musiker*innen für das deutsche Kunstlied begeistern, deutsche Studierende sich aber im Gegenzug quasi nie japanischer Musik zuwenden?
Das hat sicher mit der Erziehung zu tun, japanische Musik muss man schließlich eher suchen. Europäische Musik ist, auch in Japan, von Anfang des Instrumentalunterrichtes an der Standard. Und meine Lehrerin hat mich immer und überall in Konzerte mitgenommen, da habe ich wahrscheinlich die Hälfte der Zeit geschlafen (lacht), aber so schon als Kind viele europäische Musik erlebt. Die Atmosphäre des Konzertsaals habe ich schon damals sehr geliebt und fand es daher sehr spannend. Und als ich 11 oder 12 Jahre alt war, durfte ich Mitsuko Uchida erleben, was für mich ein wahres Erweckungserlebnis war: Die Töne, die sie spielte, schienen vom Himmel zu kommen.
Es stimmt aber nicht ganz, dass deutsche Sänger*innen sich nie mit japanischer Musik auseinandersetzen. Ich habe auch einmal mit einer deutschen Sängerin hier einige japanische Lieder aus der Spätromantik aufgeführt, als Teil eines Programmes aus verschiedenen Sprachen.
Sie haben nach dem solistischen Klavierabschluss sich noch auf Kammermusik spezialisiert. Wie kamen Sie zu dieser Entscheidung?
Ich habe mit der Zeit gemerkt, dass ich nicht ganz der Solo-Typ bin, sondern viel lieber mit anderen Musiker*innen zusammen konzertiere. Das reizt mich einfach viel mehr, auch wenn es natürlich viele wunderschöne Solo-Literatur für Pianisten gibt, die für mehr als ein Leben ausreicht. Aber mein Herz hängt einfach an Kammermusik und Lied und dem gemeinsamen Musizieren. Wichtig für das gemeinsame Musizieren ist auch eine persönliche Sympathie. Bis jetzt hatte ich da immer großes Glück mit meinen Sängerinnen und Sängern, mit denen ich auch sonst ein sehr gutes Verhältnis habe. Erstaunlicherweise entwickelt man für so etwas ja schnell ein Gespür. Ich werde beispielsweise als Korrepetitorin zu Probespielen für Geige bestellt und spiele am Tag mit 50 verschiedenen Leuten. Und schon in den ersten Sekunden des Begegnens oder den ersten Takten merkt man, ob eine sofortige Sympathie vorhanden ist, oder ob es schwierig wird.
„Manchmal bin ich selbst überrascht, welche Stimmen man entdeckt und hervorholt“
Liegt der Reiz des gemeinsamen Musizierens nicht auch in der anderen Herangehensweise an ein Stück, auf die jede musikalische Begegnung zwangsläufig hinausläuft?
Auf jeden Fall. Jede Sängerin und jeder Sänger hat natürlich seine eigenen Farben. Nicht nur durch unterschiedliche Lagen, sondern auch durch das persönliche Umgehen mit der Stimme. Das möchte ich möglichst schnell wahrnehmen und mit meinem Spiel kombinieren, so dass wir gemeinsam eine neue Interpretation erarbeiten. Es wäre doch auch zu schade, eine Stimme, die nicht so klingt, wie man sich das vorgestellt hat, als negativ abzuwerten. Ich bin stattdessen dafür, das Besondere in der Stimme zu sehen und das mit meinem Klavierspiel herauszustellen. Denn bloß, weil es mir gefällt, muss es ja nicht allen anderen gefallen. Man muss einfach immer flexibel und offen sein, um wunderbar zusammenarbeiten zu können.
Sie sprechen häufiger von den verschiedenen Farben. Wie setzen Sie Ihre Farben auf dem Klavier um?
Grundsätzlich möchte ich immer die Atmosphäre unterstützen, die jemand erzeugen möchte. Dabei geht es aber nicht nur darum, generell an bestimmten Stellen leiser oder lauter zu spielen, sondern auch um das Differenzieren der verschiedenen Stimmen. Durch das Hervorholen bestimmter Stimmen oder Töne in Akkorden ergeben sich neue Farben, die sich dann mit den Farben der Gesangsstimme beliebig kombinieren lassen.
Gibt es für Sie ein besonderes erstes Erlebnis mit dem Farbenreichtum im Kunstlied?
Besonders in Erinnerung ist mir meine erste Duopartnerin im Studium, eine Sängerin mit einer sehr großen Stimme, die schon weit fortgeschritten war und auch direkt nach dem Studium an die Oper gegangen ist. In der gemeinsamen Arbeit war es für mich so faszinierend zu merken, wie viel ich geben kann, nicht nur vom Volumen, sondern auch vom Facettenreichtum in der Interpretation. Ich habe gemerkt, was sie braucht und wie wir daraus ein spannendes Stück bauen. Das geht so weit, dass man manchmal selbst überrascht ist, welche Stimmen man auf einmal entdeckt und hervorholt (lacht).
„In der Flexibilität liegen große Chancen“
Als Pianistin müssen Sie sich zu vielen Konzerten ja auf neue Flügel einstellen. Wirkt sich das auf Ihre Vorbereitung aus?
Nein, nicht wirklich. Natürlich trifft man als Pianistin immer wieder auf neue Instrumente. Ich finde es aber nicht gut, wenn man den Zustand des Flügels als Ausrede für die eigene Leistung benutzt, da ich es spannend finde, mich mit den Möglichkeiten eines anderen, neuen Instrumentes auseinanderzusetzen. So entstehen schließlich auch Momente, die man nicht planen kann, dann muss man beispielsweise die Längen der Pausen auch mal spontan angleichen. In der Flexibilität liegen ja auch große Chancen: Ich habe einmal einen Liederabend in Norwegen gespielt, für den ich nicht viel Vorbereitungszeit hatte und bei dem wir auch nur zu einer sehr kurzen Probe in den Saal konnten. Der Saal hatte aber einen atemberaubenden Ausblick über den Fjord und der Ausblick in die Natur harmonierte so sehr mit den Schumann-Liedern, die wir dort spielten, dass es ein äußerst stimmungsvolles Konzert wurde. Räume und Instrumente können dem Konzerterlebnis also eine ganz eigene Wirkung verleihen.
Wo können wir Sie denn demnächst erleben?
Beispielsweise bei einem Projekt mit dem Titel „Transatlantic Songs from Britain to the States“, bei dem englischsprachige Lieder von Purcell bis Bernstein erklingen. Gemeinsam mit der Sopranistin Nelly Palmer bringe ich dieses Programm am 4. Oktober 2020 um 18 Uhr in der Matthäuskirche Landau zur Aufführung.