Interview mit Lisa Ochsendorf
“Der große gemeinsame Nenner ist die Liebe zur Musik, oder die Liebe zum Lied ” –
Mit Lisa Ochsendorf sprach Christiane Nitsche
Sie stammen aus Frankfurt, leben aber jetzt in Köln, in einer atmosphärisch ganz anderen Stadt. Vermissen Sie die Heimat?
Ja, manchmal schon. Ich finde, Köln ist eine wahnsinnig tolle Stadt, ich fühle mich auch sehr wohl hier. Die Menschen sind nicht so gestresst und vielleicht nicht so versnobt wie manche in Frankfurt. Aber Köln ist für mich einfach sehr groß. In Frankfurt kann man überall mit dem Fahrrad hinfahren und hat trotzdem noch dieses internationale Feeling, was mir sehr gefällt. Und wenn man da aufwächst, schlägt das Herz halt für die Stadt (lacht).
Wie sind Sie denn ans Klavier gekommen?
Meine Großeltern waren beide Pianisten, mein Großvater auch Klavierprofessor an der Musikhochschule in Frankfurt. Daher war Klavier bei uns zuhause immer schon – da. Auch meine Eltern haben beide Klavier gespielt, außerdem habe ich noch einen großen Bruder, der hat auch irgendwann angefangen. Da wollte ich dann unbedingt direkt mitmachen. Es gibt ein Foto von mir, wo ich mich nach oben strecke und die Hand an die Tasten lege. Ich spiele also Klavier, seit ich mit vier Jahren das erste Mal dran kam und Unterricht bekam. Das war ganz natürlich. Ich wollte da immer hin, fand das ganz faszinierend, und habe bei meinem Bruder immer zugehört. Es hat mir einfach unglaublich gut gefallen. Und sie blieb, diese Liebe.
War da die Kammermusik die logische Konsequenz?
Wieder das Vorbild des großen Bruders: Er hat irgendwann angefangen, Trompete zu lernen. Da wollte ich natürlich auch unbedingt noch ein Orchesterinstrument spielen. Ich habe dann mit sieben Jahren angefangen, Cello zu spielen, war auch im Landesjugendsinfonieorchester Hessen. Mir hat es immer schon wahnsinnig viel Spaß gemacht, mit anderen zusammen Musik zu machen – mehr, als alleine zu spielen. Rückblickend weiß man dann natürlich: Ah ja, hätte ich schon früher verstehen können, dass mir das immer viel Spaß macht.
Aus der Liebe und dem Spaß einen Beruf zu machen lag also auf der Hand?
Ich habe zuerst Schulmusik studiert in Frankfurt, weil man da beide Instrumente haben konnte: eins im Hauptfach, eins im Nebenfach. Und: Ich bin immer sehr gern zur Schule gegangen. Mir liegt es wahnsinnig am Herzen, andere Menschen für meine Musik zu begeistern – gerade junge Menschen, die sonst vielleicht keinen Zugang dazu haben. Außerdem war ich immer frankophil und konnte das Lehramtsstudium mit Französisch verbinden. Währenddessen kam ich dann durch Kommilitonen und Korrepetition in Gesangsklassen zum Lied. Und da dachte ich: Das muss ich weiterstudieren.
Warum? Was hat das Lied, dass es Sie so begeistert?
Für mich ist da die Verbindung zum Duo-Partner sehr, sehr intensiv – gerade durch die Verbindung mit der Sprache. Ich finde es einfach faszinierend, dass allein ein Text im Grunde schon so viel sagt darüber, wie man spielt, dass es im Grunde auch reizvoll ist, entweder den Text zu untermalen oder auch zu ironisieren, oder einen Gegenpol darzustellen. Das gibt noch mal eine ganz, ganz neue Ebene, die Musik zum Text gibt ganz neue Möglichkeiten der Interpretation, und das finde ich unglaublich spannend. Und diesen Austausch, die Diskussion, wie man das Gedicht sieht – ob das ernst gemeint ist, ob es eine Ironie darstellt, wie man es fühlt, in welcher Emotion man es spielt: Das finde ich großartig, das macht mir unglaublich viel Spaß.
Sie erarbeiten sich die Lieder also vom Text her?
Ja. Ja. Ich spiele natürlich auch erstmal die Klavierstimme. Aber das alleine langt nicht. Man muss immer vom Text ausgehen und da heraus seine Art des Spielens entwickeln. Also – ich mache das so (lacht).
Wie alt waren Sie ungefähr, als Sie ans Lied kamen?
Da war ich vielleicht 23. Da habe ich mit einem Sänger „Die schöne Müllerin“ aufgeführt. Und der sagte mir: Du musst das unbedingt weitermachen. Ich wusste gar nicht, dass man das studieren kann, denn in Frankfurt gibt es das nicht als Studienfach: Liedgestaltung. Als ich das dann aber erfahren habe, war sofort klar, dass ich das machen möchte.
Wie ging es dann mit dem Lehramtsstudium weiter?
Ich habe es abgeschlossen, aber das Referendariat habe ich noch nicht gemacht. Gerade bin ich Vertretungslehrerin an einer allgemeinbildenden Schule in Köln. Dort habe ich schon öfter mit meinen 5. und 6. Klassen Kinderopernbesuche organisiert. Manchmal kommen Sänger zu Besuch in den Unterricht und singen vor. Das ist für die Kinder schon sehr besonders, weil die wenigsten von ihnen überhaupt diese Art von Musik kennen. Am Ende des Schuljahrs letztes Jahr haben sie mir geschrieben, dass sie wieder in die Kinderoper gehen möchten. Das war so toll.
Da schlagen zwei Herzen in Ihrer Brust – das Vermitteln und Weitergeben auf der einen Seite und das Interpretieren und auf der Bühne stehen auf der anderen. Wie würden Sie da die Schnittmenge in Worte fassen?
Genau, das sind zwei Herzen. Aber der große gemeinsame Nenner ist die Liebe zur Musik, oder die Liebe zum Lied. Das eine schlägt derart, dass man selbst künstlerisch tätig sein möchte, um sein eigenes Bedürfnis nach Musikgestaltung zu befriedigen und andere Menschen glücklich zu machen, wenn man vor ihnen spielt. Das andere möchte aber auch diese Liebe weitergeben, damit das weitergetragen wird und nicht aufhört zu existieren – und dass diese Kinder doch vielleicht dafür begeistert werden – dass sie vielleicht, gerade, obwohl sie es gar nicht kannten, später auch mal in Konzerte gehen; das fände ich toll. (lacht)
Stichwort Frankfurt: Sie planen dort ein „Testkonzert“. Was hat es damit auf sich?
Ich war in Frankfurt Stipendiatin der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, bei der ich auch seitdem einen Chor leite. Diese Stiftung ist wahnsinnig engagiert, in allen möglichen Bereichen: wissenschaftlichen, aber auch kulturellen. Es gibt auch Projekte an Schulen und eine Band. Unter anderem fördern sie das Opernstudio der Frankfurter Oper. Ich hatte die Idee, dass man dort eine eigene Konzertreihe entstehen lässt, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Opernstudio und Stipendiaten der Stiftung. Wir haben uns gemeinsam überlegt, dass wir mit einem Chansonabend als Testkonzert starten, mit einer Sängerin und einem Sänger, wo in einem lockeren Rahmen eine musikalische Beziehungskiste aufgemacht wird.
Warum ist eigentlich „Du liebst mich nicht“ von Schubert Ihr Lieblingslied?
Das ist ganz schwer in Worte zu fassen. Ich weiß nicht, warum mich das so anrührt. Wenn ich es spiele, bin ich immer in einer komplett anderen Welt. Ich finde es Wahnsinn, was da harmonisch passiert, wie es durch so viele Tonarten wandert, wie im Grunde immer derselbe Satz gesagt wird, aber immer in einer anderen Emotion. „Du liebst mich nicht“ kann man ja vorwurfsvoll sagen oder herausschreien, oder aber auch zusammenbrechend, fast flüsternd, resigniert, es nicht wahrhaben wollend, bis es schließlich doch ankommt und einen wie ein Schlag trifft, dass es jetzt eben doch so ist. Ich finde es unglaublich.
Wobei da ja der Text nicht so großen Raum einnimmt …
Ja, stimmt (lacht). Da kann man tatsächlich nicht viel vom Text her holen, aber der Inhalt ist ja klar. Es durchläuft ganz viele Facetten von Emotionen – von Wut über Ernüchterung, bis zu vollkommenem Stillstand. Das finde ich das Faszinierende daran: dass man auch mit wenig Worten und mit fantastischer Musik so viel ausdrücken kann.
Sie sind jetzt 28, da haben Sie ja noch viel vor sich. Haben Sie so etwas wie eine Vision für ihre Zukunft?
Mein Traum wäre, beides weiterzuführen: Schule und Lied. Natürlich muss man dann auch Kompromisse machen, aber ich finde, dass mir gerade die Kombination von beidem unheimlich viel gibt – weil Kinder zum Beispiel oft einen unverstellten Blick auf die Dinge haben und naive Fragen stellen, die mir ganz neue Sichtweisen eröffnen, die ich beim Spielen in meine Interpretation mit hinein nehmen kann. Dieses Unverstellte verliert man ja oft, wenn man erwachsen wird. Es befruchtet meine Arbeit gegenseitig – dass man sich nicht im Detail verliert, wenn man stundenlang einen Takt übt, zum Beispiel. Denn wenn man in der Schule ist, nimmt man wieder das große Ganze in den Blick, und das hilft mir ungemein. Deswegen glaube ich auch, dass ich beides brauche, um beide Aufgaben gut ausführen zu können – immer wieder diesen Wechsel zwischen Detail und großem Ganzen. Meine Vision ist einfach eine lebenslängliche Kombination dieser beiden Herzensangelegenheiten (lacht).
Was bedeutet das dann konkret in der nächsten Zukunft für Sie?
Mein Plan ist, irgendwann in den nächsten zwei Jahren mein Referendariat zu machen. Momentan liegt mein Schwerpunkt aber schon ganz klar auf dem Lied. Da gibt es noch viele Projekte, die ich machen möchte. Jetzt ist auch die Zeit dafür, jetzt bin ich so flexibel wie nie. Ich kann nach Salzburg zum Unterricht fahren, viel lernen, Menschen kennenlernen, mich vernetzen und mit Sängern Projekte angehen. Da brauche ich schon mehr Zeit fürs Lied. Aber ich möchte nie sagen: Ich mache nur noch das eine.
Ich könnte zum Beispiel niemals Klavier unterrichten. Das mache ich auch nicht, weil mir das nicht liegt. Ich möchte dann immer selbst spielen, habe nicht die Geduld und es ist so ruhig. Diese Gefahr gibt es in der Schule nicht. Da ist immer Action und viel los, es wird nie langweilig. Das liegt mir mehr.
Sind Sie auch sich selbst gegenüber ungeduldig?
Ja. Mich nervt es, wenn Sachen nicht sofort klappen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: entweder, dass ich es mit Geduld versuche. Oder dass ich mir ein Konzept überlege, wie ich es schaffe, dass es auf Anhieb klappt, und das vorbereite und organisiere. Dann geht’s auch.
Aber es gibt nicht die Option zu sagen: Ich lasse es.
Nein, die gibt es nie (lacht). Probleme müssen angegangen werden, dann wird auch eine Lösung gefunden. Aufgeben ist keine Option.