Interview mit Frauke May
„…dass Reger zu Lebzeiten viele seiner größten Erfolge im Rheinland feiern konnte…“
Herbst 2018
Mit Frauke May sprach Verena Düren
Frau May, Max Reger als Liedkomponist – als solcher ist er mir ehrlich gesagt kaum präsent.
Ich kenne viele, denen es ähnlich geht wie Ihnen. Dabei gibt es ein sehr großes Modul von Vokalwerken bei Reger. Er hat alleine 303 Klavierlieder geschrieben, was leider den wenigsten bekannt ist! Ganz abgesehen von den Werken für Orchester und Gesang.
Wann sind diese Lieder entstanden?
Reger hat durch sein ganzes Schaffen hindurch Lieder komponiert, was sie auch noch mal besonders faszinierend macht. Das erste Lied entstand in seinem 17. Lebensjahr, „Gebet“ op.4/1 nach einem Text von Hebbel, den er sehr verehrte Die fruchtbarste Phase seines Liedschaffens liegt zwischen 1888 und 1902, als er versuchte, als Komponist im Münchener Musikleben Fuß zu fassen, er 1902 heiratete und wo sich ja auch sein Konkurrent und Kollege Richard Strauss zu der Zeit tummelte. Hier befand sich Reger schon auf dem Gipfel der Modernität und war am individuellsten Punkt seines Personalstils angekommen.
Für diejenigen, die seine Lieder nicht kennen: in welcher Tradition stehen sie?
Die frühen Einflüsse kommen von Brahms und Wagner. Reger berichtet selbst von einem „Erweckungserlebnis“, als er im Alter von 19 Jahren zum ersten Mal den Parsifal in Bayreuth erlebte. Von da an hatte er eine lebenslange Affinität zu Wagner. Von seinen Zeitgenossen waren es besonders Hugo Wolf, dessen Nachlass er auch später verwaltete und herausgab und Richard Strauss, den er aber als seinen härtesten Konkurrenten sehr respektierte und bewunderte.
14 Doppelvertonungen mit Strauss-Liedern als “Hommage als Wettstreit”
Er hatte dessen Lieder sehr genau analysiert und es kommt nicht von ungefähr, dass es 14 Doppelvertonungen mit Strauss-Liedern gibt. Das kann durchaus als eine „Hommage als Wettstreit“ gesehen werden. Wenn man aber jetzt wirklich von einer Tradition sprechen will, dann muss man sagen, dass Reger aus der Brahms’schen Tradition kam – und natürlich immer wieder Bach!
Was ist so besonders an den Liedvertonungen von Max Reger?
Es gibt viele Facetten, die seine Vertonungen so spannend machen. Zum einen hat Reger sehr viel zeitgenössische Lyrik vertont, was vorher eher selten der Fall war. Eine enge Zusammenarbeit verband ihn beispielsweise mit Otto Julius Bierbaum, Stefan Zweig, Detlev von Liliencron und Martin Boelitz, von dem die meisten Gedichte für seine Lieder stammten. Reger war ohnehin ein sehr fleißiger Briefeschreiber und besonders mit „seinen Dichtern“ hatte er einen regen Austausch. So gesehen war er also in dieser engen Zusammenarbeit zwischen Dichter und Komponist sehr modern.
Goethe, Eichendorff, Schiller waren auskomponiert
Diesen Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Literatur hatte er u.a. aus großem Respekt vor früheren Liedkomponisten gewählt. Er sprach beispielsweise davon, dass Goethe, Eichendorff, Schiller „auskomponiert‘ seien … er könne dem „nichts mehr hinzufügen“. Ein weiterer Grund war aber auch, dass es ihm vor allem auch um die innerste Aussage eines Gedichtes ging; „Alle erdenklichen psychologischen Vorgänge ganz erschöpfend in Lieder zu bringen“ war sein Streben und das korrespondiert schon mit der ästhetischen „Nervenkunst“ der Jahrhundertwende, der es um die Darstellung der inneren Zustände des Menschen ging.
Spielraum für die Darstellung der inneren Zustände des Menschen
Reger wollte Gedichte, die ihm dafür „Spielraum“ gaben. Er war auch nicht scheu, einen Text zu verändern, wenn er es für seine musikalische Interpretation für richtig erachtete. Und in der Hochzeit der Psychoanalyse fand man dieses Element natürlich vor allem in den Gedichten dieser Zeit. Musikalisch gesehen sind seine Lieder deshalb auch besonders spannend, weil er in dieser kleinen Gattung vieles ausprobiert hat. Er hat die Lieder als eine Art Werkstatt genutzt und seine Harmonik dort entscheidend weiterentwickelt, was dann in den anderen musikalischen Gattungen seinen Niederschlag fand.
Sie sind ja selber leidenschaftliche Liedsängerin – was ist aus Sicht der Interpretin besonders an Max Regers Liedern?
Die seelische Tiefe der Texte herauszustellen, ist natürlich immer die größte Herausforderung an die Interpreten. Ein besonderes Merkmal bei Reger ist, dass sich auch die Gesangsstimme aus der Harmonik erschließt. Man muss sich das so vorstellen: Die häufigere Herangehensweise ist, dass ein Komponist eine Melodie im Sinn hat und diese mit seinen Harmonien gestaltet. Bei Reger erschließt sich die Melodie aber immer erst so richtig durch die Harmonik. Die Gesangslinie entsteht oft ausschließlich aus der harmonischen Abfolge und damit ergibt sich für den Sänger ein permanent vertikales Fortschreiten um überhaupt die Intervalle/ Intonation/Enharmonik zu meistern.
Dauerklammer durch seinen Ausdruckswahn
Hinzu kommt eine schier unglaubliche Fülle an Ausdrucksbezeichnungen. Wenn man sich mit Regers Liedern beschäftigt, ist dies natürlich eine unheimliche Lesearbeit, aber dann offenbart sich schließlich auch ihre ganze Schönheit. So hält Reger den Sänger in einer Art Dauerklammer durch seinen „Ausdruckswahn“, wo jedes Wort, jedes Intervall mit einer bestimmten Farbe versehen werden soll. Aus Sicht der Pianisten sind die auf jeden Fall auch eine große Herausforderung, denn was nur Wenige wissen: Reger selbst war einer der besten und gefragtesten Liedbegleiter seiner Zeit und konnte eben auch selbst im dichtesten Klaviersatz noch ein ppp spielen! Man sollte also mit der Anzahl der gemeinsamen Proben nicht geizig sein!
Geboren in Weiden in der Oberpfalz und gestorben in Leipzig – welchen Bezug hatte Reger zum Rheinland?
Dieser Bezug erschließt sich vielleicht nicht auf den ersten Blick. Die Reger-Forschung nach seinem Tod hatte ihre Anfänge in Bonn. Dort lebte seine Witwe Elsa Reger und gründete in Bonn das Max-Reger-Institut (MRI), das mittlerweile seinen Sitz in Karlsruhe-Durlach hat. Dazu kommt, dass Reger zu Lebzeiten viele seiner größten Erfolge im Rheinland feiern konnte, indem etliche Werke hier uraufgeführt wurden. Um 1902/1903 herum hat er selber zahlreiche Konzerte im Rheinland gegeben. 1905 hatte er sein Kölner Debüt, wo auch das ein oder andere Werk von ihm erstmals aufgeführt wurde. Über diese Aufführungen entstand auch eine lebenslange Freundschaft zum Dirigenten Fritz Busch, der damals in Köln war. 1910 gab es in Dortmund das sehr erfolgreiche „Dortmunder Regerfest“, dass erste mehrtägige Festival für einen lebenden Komponisten überhaupt. 2010 hat man mit schönem Erfolg, mit dem Festival „Reger in der Eisenbahn“ daran anknüpfen können.
Sie waren neben vielen anderen Musikern an dem großen Film-Projekt „Max Reger: The Last Giant“ beteiligt, das im März rauskommen wird. Und was für einen Film handelt es sich?
Es sind letzten Endes ganze drei Dokumentarfilme, und drei DVDs mit gefilmter Musik auf sechs DVDs geworden. Auf Youtube gibt es einen einführenden Trailer zu sehen. Der Film hat alle Beteiligten fast über das ganze Reger-Jahr 2016 hinweg begleitet.
„Maximum Reger – Reger: The Last Giant“
So besteht er nicht nur aus zahlreichen sehr persönlichen Berichten von Interpreten und ihren Erfahrungen mit der Musik Regers, den musikwissenschaftlichen Beträgen der Experten vom Max-Reger-Institut, sondern vor allem aus über 700 Minuten seiner Musik. Natürlich nichts, was man sich in einem Rutsch anschaut – obwohl das wiederum zu einer gewissen Reger´schen „Unmäßigkeit“ passen würde! – aber einen umfassenderen Blick auf Reger und sein Werk kann man wohl kaum erhalten.