
11 Fragen an… Francisca Hahn
Francisca Hahn über ihre Faszination mit Gustav Mahlers Musik, warum sie sich diesem Genre hauptsächlich gewidmet hat und wann sie wirklich wusste, dass sie eine Sängerin sein will
Was machen Sie tagsüber?
Ein Kollege erwähnte einmal, dass ihm diese Frage von jemandem gestellt wurde, der das Theaterleben nicht wirklich kennt.
Ihr heißer Literaturtipp?
„Snoopy schreibt ein Buch“ von Charles M. Schulz.
Ihr liebstes Kinderlied?
„Guten Abend, gute Nacht“. Vor Jahren habe ich einmal das Wiegenlied von Johannes Brahms für ein Konzert geübt. Meine Tochter hörte ganz aufmerksam hin und dachte, jetzt sind endlich Kinderlieder dran! Dieses Lied hat etwas sehr Zärtliches.
Mein persönliches Lied-Steckenpferd.
Lieder von Gustav Mahler, die habe ich erst relativ spät entdeckt, aber dann wuchs die Faszination für seine Musik. Erst Jahre nach dem Tod unseres Sohnes habe ich die Kindertotenlieder zum ersten Mal gesungen, was ich zu meiner eigenen Heilung getan habe. Es gibt keinen Komponisten, der in seiner Musik das Menschsein mit allen seinen Facetten so tiefgründig und unmittelbar zum Ausdruck bringt.
Was ich der Welt mit dem Lied sagen möchte…
Meine Absicht ist, dass Menschen ihr inneres Empfinden in einem sehr persönlichen Bereich erfahren, aus dem Beobachten herauskommen und mitfühlen. In Liedern werden innere Saiten zum Schwingen gebracht, ohne zu sehr durch den Intellekt gefiltert zu werden. Diese Ebene möchte ich ansprechen.
Gehen Sie gerne wandern? Wo? Warum?
Ja, am liebsten im Wald und in den Bergen. Eigentlich fahre ich jetzt lieber Fahrrad. Aber in der Natur zu sein, möglichst dort, wo keine Menschenmassen sind, ist für mich ein Quell der Erholung.
Ihre größte Freude beim die Lied-Musizieren?
Wenn eine Atmosphäre entsteht, bei der wir nicht im eigentlichen Sinne arbeiten, sondern mit dem Publikum etwas Gemeinsames entsteht. Wenn alle wirklich lauschen und nicht mehr nur zuhören. Wenn die Identifikation mit meinem Beruf schwindet, ebenso wie Eitelkeit und die Angst zu versagen, und wenn es nur das Jetzt gibt.
Graben Sie gerne in Archiven?
Eher nicht. Manchmal stoße ich zufällig auf etwas, das ich gerne lernen möchte. Das, was für mich wichtig ist, wird mit zur rechten Zeit begegnen. Manchmal braucht es Jahre, bis ich etwas in einem Konzert singe, weil sich dazu noch keine Gelegenheit ergeben hat. So habe ich jetzt zum Beispiel endlich einen Bariton gefunden, der mit mir die Brahms-Duette für Alt und Bariton aufführen möchte.
Das schönste Volkslied?
Greensleeves. Besonders die englische Musik empfinde ich als so angenehm schlicht, freudig und melancholisch zugleich. Sie ist sowohl warm, als auch kühl, was für mich einen besonderen Reiz ausmacht.
Ein Bild oder eine Skulptur, das/die ein Lied verdient?
Die Bürger von Calais von Rodin, die ich sowohl in New York als auch in Basel gesehen habe. Zwar weiß ich nicht, wie das umzusetzen wäre, aber in dieser Darstellung sind so viele Charaktere und Bezüge erkennbar, dass man immerzu um die Skulptur herumlaufen und Neues entdecken möchte.
Ihr Lieblingsort für einen Liederabend?
Jeder Ort, an dem ein offenes und interessiertes Publikum ist, ein gutes Instrument und eine gute Akustik. Außerdem ist ein Veranstalter mit Herz und Engagement ein großes Plus.
Thrilling story behind – Ihr spannendstes Lied-Fundstück?
„Tu vois le feu du soir“ von Poulenc. Als ich das Lied zum ersten Mal hörte, wollte ich wirklich Sängerin werden, auch wenn ich keinen Plan hatte, wie das geht. Erst nach einiger Zeit habe ich entdeckt, dass die Melodieführung an die Gregorianik angelehnt zu sein scheint, obgleich die Harmonik in eine ganz andere Sprache spricht.
Ihr Ritual vor jedem Auftritt?
Ausruhen, nicht zu viel essen, ein bisschen Make-up auftragen und versuchen, mein Lampenfieber als nicht zu mir gehörig anzusehen. Die Absicht zu haben, alles hinzugeben!
Gucken Sie Fußball?
Ja, aber eigentlich nur die Weltmeisterschaft. Vor einigen Jahren habe ich in St. Louis in den USA den Sieg der Deutschen gegen die Brasilianer gesehen. Dort waren die Deutschlandfans in der Minderheit, was auch eine ganz neue Perspektive war. Irgendwie machte einen der Erfolg eher demütig, weil die anderen so niedergeschlagen waren.
Ein unvergessliches Konzerterlebnis?
Ich habe einmal das Verdi-Requiem vor vielen Jahren in Stuttgart gehört. Als die Sopranistin, deren Namen ich leider nicht mehr weiß, die letzten Töne sang, habe auch ich alles Irdische vergessen.
Ihre favorisierte Lied-Aufnahme?
Vier letzte Lieder von Richard Strauss, gesungen von Jessye Norman. Mir fehlen die Worte, sowohl die Komposition als auch das Können der Sängerin zu beschreiben. Diese Musik ist für die Ewigkeit.
Was wollten Sie als Kind später einmal werden?
Lokomotivführer. Das hat irgendwie nicht geklappt. Wahrscheinlich wurde ich abgelenkt.
Ihr letzter Ohrwurm?
„They can`t take that away from me“ von Gershwin. Mir gefällt die Aufnahme von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong besonders gut.
Was würde uns in einer Zeit ohne das Lied verloren gehen?
Im Unspektakulären liegt ein großer Reichtum, welcher nicht im Effekt liegt, sondern im Farbenreichtum, in den oft leisen Tönen, in der Wertschätzung des Textes, der in nur wenigen Worten Wesentliches zu sagen vermag. Musik und Text ergänzen einander ohne Tamtam auf wundervolle Art und Weise.
Wie stellen Sie sich das perfekte Liederabend-Publikum vor?
Es ist offen, unvoreingenommen, hat Zeit, ist nicht zu kritisch und bereit, sich auf die gesamte Gefühlspalette einzulassen.
Welchen Rat würden sie jeder/jedem jungen Liedstudenten mitgeben?
Lieder zu singen, ist eine Leidenschaft, die man nicht mit jedem teilen kann. Ich habe mich diesem Genre hauptsächlich gewidmet, weil mich diese Art des gemeinsamen Musizierens begeistert hat. Irgendwann hat es mich nicht mehr so sehr gekümmert, ob viele oder wenige zuhören. Nur so konnte ich durchhalten. Also: haltet durch!
Was schätzen Sie an der Szene der Lied-Liebhaber?
Das Verstehen, wie Worte und Musik idealerweise eine Symbiose eingehen. Die Lied-Liebhaber haben einen Sinn dafür, dass man in einem Mikrokosmos so vieles darstellen kann.
Vervollständigen Sie: „Jeden Morgen ein Lied…“
auswendig zu lernen wäre großartig, wenn ich die Disziplin und den Fleiß dazu hätte.